Ende 2022 überraschte Gitarrist Tobias Hoffmann die Musikwelt rechts und links des Jazz, und wahrscheinlich auch die Saitenwelt darüber und darunter, mit dem wunderbaren Trio-Album ,Slow Dance’, das auch von der Cover-Gestaltung ein Genuss war. Das hatte der Künstler aber schon bei früheren Werken drauf: Die LP- bzw. CD-Hüllen von ,11 Famous Songs Tenderly Messed Up‘ (2014) und ,Ballads, Blues, & Britney‘ (2017) waren ebenfalls echte Hingucker. Den zarten Blau- und Türkistönen von ,Slow Dance’ ist Tobias auch bei ,Italy’ treu getrieben, schließlich hat dieses Land ja auch nah am Wasser gebaut …

Keine Frage: Der 1982 in Remscheid geborene Tobias Hoffmann war von Beginn seiner Karriere an Grenzgänger, hat mit seinen Sounds und Stilbrüchen die europäische Gitarrenszene gewaltig belebt und für seine kreative Arbeit auch schon einige Preise erhalten. „Guitar & Composition · Jazz, Blues, Surf & Noise“ ist die Website des mit seiner Familie in Köln lebenden Musikers untertitelt. Als Mitglied im Klaeng-Jazzkollektiv ist er gut vernetzt mit anderen Musikerinnen und Musikern, die die Veröffentlichung ihrer Kunstwerke selbst in die Hand nehmen.
Gut so, denn nur das ist der Weg aus dem von vielen Kunstschaffenden selbst gewählten Spotify-Dilemma. Und so sind von Tobias Hoffman schon so einige wunderbare CDs und Vinyl-LPs erschienen, die man bei Streaming-Anbietern nicht findet – und die via klaengrecords.de auch direkt beim Erzeuger zu bekommen sind; auch als Download. Ansonsten hat Hoffmann seit 2021 Professur für Jazz und Pop Gitarre und Ensemble an der Hochschule für Musik Trossingen – das spricht für die künstlerische Offenheit dieses Lehrinstituts.



Tobias ist ein fleißiger Musikarbeiter: Neben den o.g. Einspielungen mit seinem Trio hat er noch so einiges mit den Formationen Expressway Sketches und Tobias Hoffmann’s Fallschirme veröffentlicht, außerdem war er als Sideman unter anderem mit Shake Stew, Max Andrzejewski’s Hütte, dem Frederik Köster Quartett und dem Jan Philipp Trio zu hören.
Schlagzeuger, Percussionist, Produzent und Bedarfs-Keyboarder Jan Philipp ist auch sein Partner auf dem neuen Album ,Italy‘, dass die beiden Multiinstrumentalisten – Hoffmann ist hier neben diversen Gitarren auch am Bass, Keyboard, Banjo, Lapsteel und Percussion aktiv – im Duo eingespielt haben. Das geschah in den vergangenen zweieinhalb Jahren in Phillips Studio, und es ist das erste Album, das Tobias Hoffman nur mit eigenen Kompositionen und mit Hilfe der Mehrspurtechnik realisiert hat.

Verträumt poppig startet die Italienreise mit dem Titel ,Carousel‘ und einer einfachen Pianomelodie nach der sich immer wieder eine etwas nörgelige Blues-Gitarre mit Manouche-Touch zu Wort meldet. Wer kurze Songtitel mag, wird hier fündig: ,Pool‘ heißt die Nr. 2 des Albums, und hier ist man ganz schnell sicher, dass die Handtücher auf den Liegen nebenan Tom Waits und Marc Ribot gehören. Trashiger, deeper Sound, sehr cooler Groove und ein bisschen Feeling von der legendären Kölner Band The Piano Has been Drinking, deren Gitarrist Frank Hocker im Oktober verstorben ist.
„Marc Ribot, inklusive seiner Arbeit mit Tom Waits, ist einer meiner Lieblings-Gitarristen und hat mich in vielerlei Hinsicht maßgeblich geprägt. Der Sound bei Pool ist eine Co-Produktion von Jan Philipp und mir. Ich habe meine Jaguar durch ein Vemuram-Fuzz-Pedal über meinen Amp gespielt. Zwischengeschaltet war ein Federhallgerät welche zeitgleich von Jan „gespielt“ wurde. Die oszillierenden Sounds und die krachenden Geräusche kommen aus diesem Effektgerät. An Ribot habe ich beim Spielen tatsächlich nicht explizit gedacht, eher an ein sehr trashiges 80s Pop Solo. Frank Hocker und die Band The Piano Has been Drinking habe ich leider nie kennengelernt.“

,Love‘ heißt der nächste Track, der mit monotonem Drum-Beat und fast geräuschhaft agierender Riff-Gitarre eine ganz eigenwillige Stimmung erzeugt. Ein knochiger Bass drängt nach vorne, dahinter perlen ein paar geschmackvolle Gitarrenlinien, gezupfte Akkorde, und dann ein paar Sounds die von verschiedensten Instrumenten dieser beiden Klangmaler stammen können. Was hat Tobias Hoffmann zu ,Love‘“’ inspiriert? „Das Stück entstand für meinen Job bei Vintage Guitar Oldenburg.“ Kurze Anmerkung: Für den genannten Gitarrenhändler produzierte Tobias in den vergangenen Jahren schon circa 500 sehens- und hörenswerte Gitarren-Präsentationsvideos – solo, nur mit Instrument, Amp und Looper. Neben diesem kreativen und immer wieder überraschenden Gitarristen kann man hier auch ganz unterschiedliche, teils extrem seltene Saiteninstrumente genießen.
„Für diese Videos denke ich mir oft kleine Riffs oder Akkordfolgen als Begleitung zum Melodiespiel aus“, erzählt Tobias weiter. „Dies hat sich als wertvolle Quelle für mich erwiesen, denn ab und an funktioniert etwas so gut, dass ich ein Stück daraus mache. Im Falle von ,Love’ habe ich es sogar einfach nur bei den Akkorden belassen. Das Stück hat also keine komponierte Melodie. Im Studio haben Jan und ich einfach die Akkord-Form einige Male zu zweit mit Drums und Rhythm Guitar als Basis-Track gespielt. Alle anderen Parts, das ganze Arrangement und die Dynamik, wurden improvisierend overdubt. Was jetzt hier sehr nüchtern klingt, hat für mich als Klangereignis einen hohen emotionalen Wert. Die Akkorde sind so richtig mein Sound. Der Klang geht mir sehr nah und inspiriert mich. Alle Stücke haben ihre Titel erst nachträglich bekommen. ,Love’ ist natürlich kitschig, aber ich dachte, ich traue mich das.“
Richtig gemacht, denn diese Liebe klingt echt. Und es geht noch sehr spannend weiter. Mit ,Ballroom‘, einer wunderbaren Komposition verschiedener Saiteninstrumente mit klischeefrei Atmosphäre schaffender Pedalsteel im Untergrund, darüber eine sehr eigenwillige melodische Bewegung … – Tobias Hoffmanns Kollege Bill Frisell wird zufrieden lächeln, wenn er diesen Track hört. Denn auch Geistesverwandte können sehr unterschiedlich klingen.
Welche(n) Gitarristen oder Instrumentalisten würde Tobias Hoffmann als seinen größten Einfluss für eigenwillige Sounds bezeichnen? „Ich habe mich mit viel unterschiedlicher Musik beschäftigt wo weirde Gitarren-Sounds zu finden sind“, meint Tobias. „Also, von trashigen Surf und 50s Space-Gitarren über psychedelische 60s Klang-Collagen ala Syd Barrett und Jimi Hendrix bis zu meinen Helden Bill Frisell, Ry Cooder, Blake Mills, Marc Ribot, Nels Cline, Sonic Youth, Arto Lindsay, Fred Frith und meinem alten Lehrer Ralph Beerkircher. Außerdem habe ich auch etwas Erfahrung in freier Improvisation und neuer Musik gesammelt und wurde so von anderen Instrumentalisten inspiriert.“

Da ist noch so ein Track, der sehr speziell klingt: Wie entstand der verzerrte E-Gitarren-Sound in ,Beach’? Tobias: “,Beach’ war als sehr trockenes, dreckiges Fuzz-Solo gedacht. Ich habe es auf meiner Jazzmaster gespielt. Es wurde direkt in den Computer gespielt durch ein Z.Vex Fuzz Factory Pedal und ein Studio-Equipment-Teil namens Culture Vulture, welches extreme analoge Verzerrung herstellen kann. Die Gitarre bahnt sich im Break an und dann geht es richtig los. Ab dort hat Jan sofort beim ersten Abhören das Stereo-Slapback-Echo hinzugefügt, was den Sound sehr mächtig macht. Er hat es sozusagen direkt und kreativ gemischt. Dafür schätze ich Jan sehr. Direkt Entscheidungen fällen und wenn es gut klingt, dann bleibt es so. So haben wir im Prinzip fast das ganze Album gearbeitet.“
Und dann klingt auch schon mal das Banjo in dem originellen Track ,Gramophone‘ wie ein nervöses Huhn, das Charlie Parker mag und sich SloMo aus dem Bild schleicht um einer orchestralen Passage Platz zu machen, die aus dem Soundtrack von „Babylon Berlin“ stammen könnte, als die Serie noch spannend war.
„Da gibt es ein paar Ideen, die sich als roter Faden durch die Kompositionen ziehen.
Altes im neuem Gewand, Neues mit Patina, oder die Mischung verschiedener Einflüsse ist
immer noch was mich am meisten reizt. Und so höre ich in diesen Stücken Delta-Blues,
Folk, Classic-Jazz, Gershwin und den Sound meiner Kindheit, die 80er und 90er.“

„Via Tobias“ heißt die schmale Straße, die zwischen Blues, Jazz, Filmmusik, Folk, Gypsy Swing, Slow-Surf und Noise nach Italien führt. Und wenn Tobias Hoffmann in ,Sunset‘ noch mal mit ganz wenigen Tönen beweist, was für ein geschmackvoller Saitenkünstler er ist, folgen noch drei weitere Tracks für die Nacht: Das mysteriöse, dezent bedrohliche „Lava“ gehört natürlich zu Italien wie die Pizza Würstel zu Wanne-Eickel. Es folgt mit ,Folks‘ ein eher amerikanisch klingendes Fingerpicking-Stück mit sehr schönen Harmonien, das gegen Ende aber auch auf das weiße Album der Beatles gepasst hätte. Und dann ist da noch „Shore“, ein echter Late-night-Chiller in Lounge-Surf-Atmosphäre – und auch hier klingt diese Musik, als hätte Tobias Hoffmann sie erfunden. Dieser Gitarrist hat auch und vor allem als Musiker eine absolut prägnante Handschrift. Und da war ein gutes Team: „Erst im Nachhinein wurde mir klar wie Jan mit seiner zurückhaltenden und doch inspirierenden Art die Aufnahmen gelenkt hat“, erzählt Tobias. „Seine gute Vorschläge, sein Engagement für den Sound und den Song und sein Wissen, wann genug gespielt wurde, wann ein Take gut war, waren essenziell für das Album.“
„Die Gitarren und Amps wurden größtenteils mikrofoniert, mit unterschiedlichsten Mikrofonen. Die akustischen Gitarren haben alle keinen Pickup. Nur der Solo-Sound bei ,Beach’ ging direkt bzw. über Vorverstärkung in den Computer. Außerdem die verzerrten „Ratsch“-Gitarren am Ende von Lava und einige der Reverse-Gitarren-Sounds in dem gleichen Stück. Auch direkt ins Pult ging größtenteils der Bass, was uns im Nachhinein sogar besser gefallen hat.“
Eigentlich ist jeder der elf Album-Tracks von ,Italy‘ eine kleine, minimalistische Überraschung mit immer neuen Farben, Kontrasten, Sounds, Geräuschen … hier wird mit allen Mitteln gearbeitet. „Zu den Sessions brachte ich immer eine Reihe unterschiedlicher Gitarren von zu Hause mit. Im Studio benutzten wir außerdem so ziemlich alles was wir vorfanden: Keyboards, Klavier, Bass, Synthis, Percussion-Instrumente, Effektpedale, Hallspiralen, Recording-Equipment usw.. Und im Laufe des Prozesses, in diesen zweieinhalb Jahren, wurden wir immer mutiger und experimentierfreudiger.“

Überhaupt klingt dieses Album nach der anfänglichen Phase des Entdeckens von vielfältigen Sounds & Stimmungen spätestens beim dritten Anhören wie eine dynamische Band-Produktion mit ganz eigener Interaktion. Das muss man erst mal hinkriegen, wenn man den Multiracking-Weg einschreitet. Dem Kölner Bassisten Claus Fischer ist das bei seinem aktuellen Solowerk „Downland“ (2022) ebenfalls verblüffend gut gelungen. In solchen künstlerischen fast-Alleingängen steckt in der Regel eine Menge Arbeit, die noch mehr Zeit für Versuch, Irrtum und Entscheidungen braucht.
Frage an Tobias: Wie war bei ,Italy‘ das Produktionszeitverhältnis von reiner Aufnahme und dem späteren Editieren und Komponieren von Parts? „Die Komposition sind ja größtenteils sehr schlicht. Bei Stücken wie Pool, Beach, Love und Lava gibt es nur eine Akkordfolge oder ein Riff. Die anderen Stücke hatten klassische Lead Sheets, in denen Harmonien und Melodien notiert waren. Alle Arrangements sind spontan im Studio entstanden und einfach als Overdub zum bestehenden Basis Track – meistens eine Gitarre oder Gitarre + Drums – dazu gespielt. Jan hat nachher ein bisschen editiert. So hört man zum Beispiel in Ballroom ab einem gewissen Punkt zwei Lapsteels, weil es einfach schön klang zwei Takes gleichzeitig zu haben, die sich schön ergänzt oder gedoppelt haben.“
Offenheit, Kreativität, Originalität, gutes Handwerk und keine Angst vor Arbeit: Kunst kommt auch bei Tobias Hoffmann von „Machen“. Seine Begeisterung und Liebe zu dieser Arbeit ist spürbar, wenn er erzählt. Und dieses Duo-Projekt mit biografischem Hintergrund von Kindheitserinnerungen an Italien-Urlaube, hat ihn anscheinend in mehrfacher Hinsicht sehr berührt. Das kommt musikalisch intensiv rüber, keine Frage. Echt und gut. „Ich bin wirklich stolz darauf, es ist ein wirklich persönliches Album für mich geworden. Ich hoffe, du wirst es mögen“, kann man auf Tobias’ Website lesen. ,Italy‘ erscheint am 23. November 2023 als Vinyl, CD und Download exklusiv beim Label Klaeng Records – www.klaengrecords.de oder über www.tobias-hoffmann.com.

TOBIAS HOFFMANN
ITALY GEAR
GUITARS
Old Craftsman Swingmaster 1960 (eigentlich eine alte Kay)
Fender Jaguar Thin Skin (modified)
„Fender“ Jazzmaster (built from parts)
Danelectro „Dead on 67“ Reissue
Epiphone Lapsteel
Fender Duo Sonic
Alhambra Iberia Nylonstring
Gibson LG2 1955
Ibanez Concord Acoustic
Sigma OMM-ST
No Name Acoustic mit Nashville Tuning
Harley Benton Guitarbanjo
BASS
Eko Bass 70er Jahre
AMP
Fender Deluxe Reverb 1975 (mit Weber 12A125A Speaker)
EFFECTS
Boss Tuner
Boss Volume Pedal
Vemuram Shanks 4K
Greer Amps Ghetto Stomp
Z.Vex Fuzz Factory
Digitech Whammy
Electro Harmonix Freeze
Strymon Flint
Red Panda Tensor
Line 6 DL4
Ebow
Schaumstoff zum Dämpfen der Saiten
Thomastik .011er oder 012er Flatwound-Strings