CARSTEN HEIN: BASS BEYOND BASS

Carsten Hein hat musikalisch schon so einiges erlebt: Neben diversen Bands waren da auch Chöre, in denen er gesungen hat, er hatte klassischen Klavierunterricht, hat in Arnheim Jazz und Popmusik mit Schwerpunkt Bassgitarre studiert (Nebenfächer: Kontrabass und Komposition) und daran anschließend noch einen Master-Studiengang in Kunst- und Medienmanagement an der Freien Universität Berlin absolviert. Es folgten diverse Jobs als Theatermusiker. Live und/oder im Studio arbeitete er unter anderem mit Neneh Cherry, Ivy Quainoo, Nosliw, Kristiina Tuomi, The Ruffcats und Lemmy Kilmisters Lieblings-Band Skew Siskin. Spektrum!

Der heute in Berlin lebende Künstler und Kultur-Manager Carsten Hein (*1979) war mir bisher nur als E-Bassist der großartigen Band des Gitarristen Marcus Klossek bekannt – und da schon positiv aufgefallen. Neben seiner Session-Arbeit veröffentlichte er auch eigene Musik, darunter das spannende Quintett-Album ,This‘, in dem sich traditionelle Jazz-Farben mit eigenwilligen Grooves mischen

Jetzt hat Carsten mir einen neuen Tonträger mit eigener Musik geschickt, „composed, performed, recorded and mixed by Carsten Hein (bass guitar & electronics), 2025“. Vor dem Hörgenuss steht ein haptisches Erlebnis: Denn wann habe ich zuletzt eine MC, also eine Musikkassette bekommen? Und schon garnicht eine transparent-rote, über die sich sogar mein Tape-Deck total gefreut hat, weil in dessen Leben schon lange nichts Spannendes mehr gelaufen ist. Aber das ist eine andere, sehr persönliche Geschichte … ;-)

BASS SIGNAL WORKS

Das neue Soloalbum heißt ,Bass Signal Works I‘, und beschäftigt sich mit Ambient- und elektronischen Texturen für Bass und Elektronik. „Es wurde nur mit Bass und Effektpedalen eingespielt“, schreibt Carsten. „Und als Genre könnte man Elektroakustisch, Ambient, Experimental anheften.“

Die Musik läuft. Los geht’s mit dem auf einem Riff aufgebauten, sechseinhalbminütigen Track ,Bass Phase‘, in dem sich das kurze musikalische Motiv vervielfältigt, überlagert, verschiebt, und so eine eigenwillige, hypnotische Atmosphäre schafft. Darüber legt Carsten Hein ein paar knarzige Flageolets, denen dann mit sehr analog klingendem Delay zu einem Eigenleben verholfen wird. Zu diesem Punkt hat sich das musikalische Geschehen schon gewaltig hochgeschaukelt, um dann aber gegen Ende wieder zum sparsameren Intro-Setting zurückzufinden. Cool! Das hat was sehr Eigenes. Wer bei Ambient an Kuschelektro denkt, ist also hier nicht ganz so gut aufgehoben.

„Der Moment, in dem ich zum ersten Mal mit einem Volume-Pedal meinen Bass in ein langes Delay eingefadet habe, war so eine Art Weckruf: Ich merkte sofort, dass mich dieses Feld nicht mehr loslassen würde. In vielen Bands, ob im Jazz oder in Indie-Rock-Bands, war ich am Bass oft auch der Soundscape-Typ, der im Studio und, wenn möglich live zusätzlich zum normalen Bass auch atmosphärische Ebenen gebaut hat. Diese Art des Klangarbeitens ist dann auch in vielen Theaterproduktionen zum Einsatz gekommen. Diese Spur hat mich nie verlassen.“

Auch der nächste, ähnlich lange Track ,Roblootron‘ hat schon etwas Mysteriöses, Unheimliches im Klangbild – diese Musik hat extremes Soundtrack-Potenzial. Beeindruckend tiefe E-Bass-Töne fluten meine Abhörzelle – da kann man die Heizung runterdrehen. Gleichzeitig jagen aber kurze Zeit später abstrakt-bedrohliche Geräusche im weiten Hallraum messerscharfe, eiskalte Schauer über den Rücken. Bedrückend beeindruckend beängstigend. Carsten Hein muss definitiv nicht mit einer Einladung in den ZDF Fernsehgarten rechnen. Selbst die ,Smile‘ betitelte sechste Klangkomposition irritiert bei aller sphärischen Harmonie noch mit zu viel Verlorenheit und Untiefe, um sich wirklich zurücklehnen zu können. Nein, hier kann man sich eigentlich nur mutig fallen lassen – und warten, was passiert. Ich hatte diese Art von Klangkonsumimfreienfallerlebnis zum ersten Mal bei David Bowies Alben ,Heroes‘ und ,Low‘, in der Zeit, als db Brian Eno und Robert Fripp zur Zeite standen.

Mit dem fast zehnminütigen ,It Hunts, It Seeks‘ ist man dann wirklich Lost in Abstraction – ein absolut haltloser Trip ins Nichts. Ich verrate nicht, wie’s ausgeht.

Das sehr spröde, wieder mit Flageolet-Tönen und weirden Bass-Geräuschen garnierte ,Fleeting Steps‘ beendet dieses eigenwillige Album. ,Bass Signal Works I‘ von Carsten Hein: Experimentelle Musik, die irgendwo zwischen Komposition und Improvisation, Performance und Happening durch Zeit und Raum schwebt. Ein absolut eigenwilliges Musikwerk.

„,Bass Signal Works I‘ ist mein Versuch, eine lange Entwicklung einmal auf den Punkt zu bringen. Als Soloalbum, das den aktuellen Stand meiner Klangforschung mit Bass und Elektronik dokumentiert. ,Bass Signal Works II‘ ist noch nicht konkret geplant, aber es wird sehr wahrscheinlich ein weiteres Kapitel geben.“

MUSIC BEYOND BASS

Für mich bleibt eigentlich nur eine Frage: Ist Carsten Hein Bowie-Fan? Fripp-Fan? Eno-Fan?
„Ja – und zwar schon ziemlich lange. Mein Zugang zu Fripp, Eno und auch zu Bowies Musik kam früh und auf eine prägende Weise. Mein erster und für mich sehr wichtiger Basslehrer, Kuno Wagner, war und ist nicht nur Gitarrist und Drummer, sondern auch Chapman-Stick-Spieler (bzw. Touch Guitar) und ein großer King-Crimson-Fan. Er hat mich in den 90ern sowohl mit Robert Fripps Soundscapes als auch mit Brian Enos Welt vertraut gemacht. Und er hatte selbst ein bemerkenswertes Effekt-Setup, mit dem er solo Klangflächen geschaffen hat. Frippertronics zum Anfassen, sozusagen.“

„Besonders tief haben sich bei mir die gemeinsamen Arbeiten von Fripp & Eno eingeprägt. ,Evening Star‘, das Album aus dem Jahr 1975, habe ich rauf und runter gehört. Damals noch auf Kassette, im Autoradio, irgendwo Anfang der 2000er. Mit Musik-Kassetten bin ich aufgewachsen, habe meine ersten Lieblings-Bands über Kassetten kennengelernt, Mixtapes für Freundinnen erstellt und schon früh mit zwei Tapedecks und dem Ping-Pong-Aufnahmeverfahren eigene Tracks aufgenommen.“

Und noch mal Bezug nehmend auf Motörhead-Bassist Lemmy Kilmisters eingangs erwähnte Lieblings-Band Skew Siskin. Ist Carsten auch Lemmy-Fan?
„Ja, aber aus einer anderen Ecke kommend. Ich hatte 2010 die sehr besondere Gelegenheit, im Vorprogramm von Motörhead drei Wochen durch UK zu touren, eben als Bassist von Skew Siskin, mit denen ich auch 2023 wieder auf dem Wacken Festival gespielt habe.
Lemmy auf Tour zu erleben war ein Geschenk. Er war erstaunlich zugewandt, klug und enorm belesen. Mit einem Wissen über Musikgeschichte, das weit über das Motörhead-Image hinausging. Einige unserer Gespräche, unter anderem über deutsche Geschichte, werde ich nicht vergessen. Und natürlich: sein Humor. Der war so trocken, dass man manchmal erst Sekunden später merkte, wie gut der Witz war. Diese Zeit hat mir eine andere Seite von Lemmy gezeigt – jenseits des Mythos. Und ja, seitdem bin ich definitiv Lemmy-Fan.“

LIFE BEYOND MUSIC

Ich habe noch ein schönes Zitat auf Carsten Heins Instagram-Account gefunden, das ein anderes Thema tangiert: „,Bass Signal Works I‘ is my ambient / electronic album, created entirely with electric bass and electronics … I’m happy to share that the album is now also available on Apple Music, Deezer, Tidal, Youtube Music and other streaming platforms — but not on Spotify.

This decision wasn’t easy. Spotify offers reach, but it has also drawn increasing criticism — for its payment model, rights handling (!) and, more recently, for the CEO’s investments in the arms industry. Of course, many platforms are far from perfect — including the one you’re probably reading this on right now. Still, for me, this feels like a step in a good direction.“ 🌻❤️☮️🤘😘🎸

www.carstenhein.com
carstenhein.bandcamp.com

Lothar Trampert / Paleblueice.com 11/2025
Fotos: Tom Osmialowski, Alejandra Ruddoff, Henry Schulz,
veröffentlicht mit Genehmigung von Carsten Hein.

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