
Wer den in Köln lebenden Gitarristen Marian Menge (*1979) schon länger kennt, weiß, dass man ihn immer wieder neu kennenlernt. Ende 2025 mit ,All That Litter Is Gold‘.
Seit 2016 ist er Mitglied der legendären britischen Band Fischer-Z, lange vorher hat er Jazz und Klassische Gitarre studiert, spielte in einer der besten deutschen Formationen der 00er-Jahre, Voltaire, es folgte das Singer/Songwriter-Elektro-Trio Ponderosa, und da ist immer noch die seit 2015 bestehende großartige Formation Alpentines, mit der er schon einige Alben produziert hat.

Dass er auch in trauter Einsamkeit kreativ ist, bewies Marian Menge bereits auf der Ende 2019 erschienene 4-Track-Solo-EP ,Nichts mehr’. Da war er noch in Begleitung seiner Gesangsstimme zu erleben, sechs Jahre später zeigt sich Klangkünstler als purer Handwerker, an elektrischen und akustischen Gitarren, einer Lapsteel und so einigen Effektgeräten, mit deren Unterstützung er durch Zeit und Raum schwebt.
Marian liebt die Musik von Jakob Bro und Terje Rypdal. Und ich liebe außerdem auch noch die Musik von Marian Menge und habe jetzt das große Problem, ganz vieles so ähnlich zu beschreiben, wie er es selbst (als sein eigener Ghostwriter) dann schon in dem wirklich gelungenen Begleittext zu seiner neuen LP geschrieben hat. Ja: Schreiben kann er auch, denn er arbeitet schon lange als Musikjournalist. Und noch mal Ja: ,All That Litter Is Gold‘ ist auf einer Vinyl-LP erschienen, mit einem stimmungsvollen Cover-Motiv, das seine Mutter Doris mal fotografiert hatte, wie ich auf der Rückseite, in perfekt gewählter Typografie lese.

Soviel vorab: Die Platte klingt sehr gut, die Pressung ist sauber, und das ist bei Musik ohne Beats und Becken schon sehr sinnvoll, sofern es sich nicht um Songs zu Beschallung knisternder Lagerfeuer handelt.
,All That Litter Is Gold‘ transportiert acht sphärische Instrumentals, die in knapp 40 Minuten, je nach Wahrnehmung, auf eine große oder mehrere kleinere Reisen mit Zwischenübernachtung mitnehmen, verbunden durch drei ,Movements‘ die Marian Menge als „über Loops und Improvisationen entstandene kleine Fenster in Ideen, die gar nicht mehr wollen als genau das zu sein“ beschreibt. Ich empfinde diese Movements wie erreichte Ruhezonen, Zwischenstopps und zugleich beeindruckende Aussichtspunkte. „Einige der Titel sind in ihrer Grundstruktur schon vor Jahren entstanden und manche von ihnen drohten schon in Demo-Form als Müll auf einer Festplatte zu enden. Aber Musik ist nie Müll, egal, ob sie gefällt oder nicht. Und Datenmüll vergeht nicht. Und mancher Müll kann zu Gold werden.“ Ende des Zitats.

Die gelungenen Gitarren-Sounds und die weiten Soundscapes, die der Gitarrist hier kreiert, verfremden, ja abstrahieren sein Instrument oft schon sehr. Ich höre mal Streicher, mal wortlose Gesangsstimmen, mal traumhafte Klangräume in die man als Hörer gezogen wird.
In Track 08 passiert das besonders deutlich, und man weiß gar nicht mehr, ob man fällt oder schwebt, und vor allem nicht wohin. Sieben Minuten und dreiundvierzig Sekunden dauert dieses mit ,Professional Empathy‘ betitelte letzte schöne, wehmütige Stück dieses Albums, bei dem man an Liebe, Sehnsucht, ans Sterben, aber auch an die Schönheit des Lebens vor dem Tod denken kann. Der sich daran anschließende kurze akustische Epilog bringt uns zurück ins Leben. War alles nur ein Traum … Vorerst beendet Track 08 also nur die wunderbare Musik dieses Albums – und diesen Versuch einer Rezension. Marian Menge & ,All That Litter Is Gold‘ – unbedingt anhören! Das Album ist ab Freitag, 28.11.2025, im Handel.
Lothar Trampert / Paleblueice.com 11/2025
Foto: Nylo de Meijer / Remix: Jan Urbanek
Musik: marianmenge.bandcamp.com
UND HIER DER BEGLEITTEXT DES KÜNSTLERS ZU SEINEM ALBUM:
marian menge
all that litter is gold
„Ich mache gern Schönes kaputt und Kaputtes schön“, sagt Marian Menge und das trifft auf die Arbeit in seinen Bands – wie etwa Voltaire, Fischer-Z und Alpentines – genauso zu wie auf sein erstes Soloalbum
all that litter is gold. Mit diesem hat er sich, wie er sagt, ein lang verfolgtes Ziel erfüllt und eine Gitarrenplatte gemacht, die zwar nicht nach Gitarrenplatte klingt, auf der aber trotzdem nur Gitarren
zu hören sind.
Eingespielt in seinem eigenen kleinen Studio sind dabei große Klanglandschaften entstanden, die teilweise einer songartigen Struktur folgen, aber meist eigene und unerwartete Wege gehen. In seinen Bands war er schon immer ein Gitarrist, der nicht führt, sondern Farben beisteuert, Räume bespielt, Räume lässt und dabei versucht, das Klischee zu umgehen und auch das Imperfekte und den Zufall zuzulassen. Und so kommen zwar ausnahmslos alle Signale auf all that litter is gold von unterschiedlichen elektrischen und akustischen Saiteninstrumenten (plus Effekten), doch das dargebotene Klangspektrum ist enorm. Da sind Geigen zu hören, Synthesizer, ein ganzes Ensemble, das die Konventionen etablierter Besetzungen über Bord wirft und sie immer wieder neu erfindet.
„Irgendwann habe ich aufgehört zu suchen, wer ich als Gitarrist werden könnte, sondern erkannt, dass mich gar nicht die Gitarre zum Musiker macht und ich eben auch nicht als Gitarrist denken muss. Mich interessieren Stimmungen, das Zusammenspiel von Melancholie und Freude, von Wärme und Wut“, sagte er 2023 in einem Interview.
Geprägt von Bebop und skandinavischem Jazz genauso wie von Indie- und Alternative-Rock, und mit einem Faible für Songs mit aufwühlenden Texten, hat Menge eine ruhige und trotzdem oder vielleicht auch dadurch aufwühlende Instrumental-Platte gemacht, die viel erzählt und Stimmungen in Klänge umsetzt, wie gute Songwriter es mit Worten tun. Und was schnell klar wird: Marian Menge ist ein Instinktgitarrist. Einer, der zurückhaltend agiert, aber sich auch mal von der Leine lassen kann und der zwar erklären könnte, was er da macht, aber es gar nicht wissen will. Die acht Stücke halten die Waage aus Komposition und Improvisation, aus Kontrolle und Entgleisung. Dies zeigt detern desert mit seiner klaren Struktur und dem sich selbst überfordernden Solo genauso wie das Ende der Platte professional empathy, das düster beginnt, aber im Verlauf immer mehr aufklart, ein versöhnliches Ende mit ein paar fast dilettantischen Gitarrentönen findet, um dann mit dem Akustikgitarren-Outro noch einmal alles in Frage zu stellen.
Dafür, dass all that litter is gold eine Gitarrenplatte ist, gibt es erstaunlich wenig echte Soli. Und in den wenigen hört man Marian Menge kämpfen auf der Suche nach Schönheit. Und die Schönheit auf dieser Platte ist, wie so oft, etwas sehr Fragiles.
Auch wenn ihm, wie angesprochen, nicht wichtig ist, was er macht, hat er doch im Nachhinein versucht, sich selbst zu verstehen: „Eins der Stücke basiert auf Harmonisch Dur, einer Tonalität, die man zwar lernen soll, wenn man sich ernsthaft mit der Gitarre und Harmonik auseinandersetzt, aber die mir stets völlig fremd geblieben ist, bis sie in bizarre bazaar einfach aus mir herausgepurzelt ist.“ In einem anderen reicht ein A-Powerchord als Schlusspointe (movement 7). Diese beiden Pole erzählen viel über Menges Herangehensweise, denn in all seinem Schaffen hat er immer versucht, der Gitarre einen besonderen, ungewöhnlichen Platz innerhalb der Musik zukommen zu lassen, und sich dabei nicht um Normen, Erwartungen oder stilistische Vorgaben geschert.
Einige der Titel sind in ihrer Grundstruktur schon vor Jahren entstanden und manche von ihnen drohten schon in Demo-Form als Müll auf einer Festplatte zu enden. Aber Musik ist nie Müll, egal, ob sie gefällt oder nicht. Und Datenmüll vergeht nicht. Und mancher Müll kann zu Gold werden.
written and recorded by marian menge
marian menge: electric & acoustic guitars, lapsteel & effects
mixing & mastering: boris rogowski
cover photo: doris menge
songs – in eigenen worten
what would begin has just begun ist der erste Track des Albums, aber der letzte der dafür entstanden ist. Er führt in die Platte rein, macht nicht viel Aufhebens, zitiert Jakob Bro und Terje Rypdal und transportiert so die Tiefe, die diese Platte prägt.
bizarre bazaar entstand, nachdem ich von John Watts das Maris Polymoon – ein sehr eigentümliches Effektpedal – geliehen bekommen hatte, einfach weil er herausfinden wollte, ob ich seine Begeisterung dafür teile. Ich fand es erstmal so lala, habe aber eine über 5 Minuten lange Fläche damit aufgenommen, für spätere Spielereien. Daraus wurde eine Collage in Harmonisch Dur, in der eine auf einer zur Bariton-Gitarre umfunktionierten Duesenberg gespielte Melodie die zentrale Rolle spielt und drumherum Landschaften gemalt werden.
detern desert war das erste Stück, das ich aufnahm – tatsächlich in einem Ferienhaus in Detern – entstanden aus Ideenschnipseln, die von unterschiedlichen mehr oder weniger offensichtlichen Quellen inspiriert waren. Weniger offensichtlich: Das Intro ist angelehnt an dueling banjos, das ich in dem Film deliverance gehört hatte. Man entferne die Virtuosität und füge eine Portion Melancholie hinzu, und schon hat man diese paar Akustikgitarrentöne. Offensichtlicher: Die Melodie des Stücks war mein erster Versuch, mich der Denkweise von Terje Rypdal anzunähern. Und der C-Part lässt vielleicht nicht nur mich an Skúli Sverrisson denken.
Die Harmonien von cards & tables begleiten mich schon seit inzwischen zwanzig Jahren und ich habe mehrere Stücke darauf geschrieben, auch mit Text. Aber für veröffentlichungswürdig hielt ich diese Versuche nie. Ich habe lange gebraucht, eine Form für diesen zweitaktigen Tonartwechsel zu finden, die mir zusagt. Und die letztendlich entstandene – mit A-, B- und C-Teil, inklusive jazzigem Solo in der Mitte – ist recht konventionell, aber die vor meinem Inneren Ich erzählte Geschichte lässt das durchaus zu.
Der Schlusstrack professional empathy erinnert wahrscheinlich nur mich an cryin‘ von Joe Satriani. Aber er intoniert darin ähnlich divers unterschiedliche Gemütszustände. Der Song besteht aus dreieinhalb Teilen: einem Intro/Thema/Solo, das von Bariton-Gitarre und Boris Rogowskis zerstörerischem Talent geprägt ist, einem kurzen Interlude, und einem Schluss, der versucht, Roland Meyer de Voltaires Gitarrenspiel auf dummy vom ersten Voltaire-Album nahezukommen. Das letzte Wort hat dann die Akustikgitarre, die mir meine Großmutter vor fast 40 Jahren geschenkt hat.
Die drei Zwischenbemerkungen movement 7, movement 9 und movement 5 sind über Loops und Improvisationen entstandene kleine Fenster in Ideen, die gar nicht mehr wollen als genau das zu sein.