ABOUT JAZZ, GUITARISTS & AMPS

Es geht um Gitarrenverstärker für Jazz-Gitarristen: Klar, es gibt klassische Jazz-Amps wie die diversen Modelle von Polytone, Henriksen & Co. Aber auch Fender-Combos, Framus-Acoustic-Amps, alte Yamaha-Transistorverstärker und neue Mesa/Boogie-Röhren-Geräte entdeckt man auf Jazz-Club-Bühnen. Ein subjektiver Überblick.

DIE ILLUSION VOM HANDSCHUHTON

Wenn man über das Thema Jazz-Gitarre redete, stellte man sich prototypisch meist einen kurzhaarigen Herrn mittleren Alters vor, der mit ernstem Blick eine direkt unter dem Kinn hängende Archtop-E-Gitarre in Schwingung versetzt. Natürlich mit unverzerrtem, höhenfreien Hals-Pickup-Ton, mindestens 251 Noten pro Minute intonierend. Und in den Passagen, in denen andere Mitspieler ihre stundenlangen Soli absondern, spielt unser Jazzer jede Menge Akkorde ohne Grundton, aber mit Namen die länger sind als der von D-82475 Garmisch-Partenkirchen.  Ja, so ist das auch heute oft immer noch – klischeefrei betrachtet. Und manche jungen II-V-I-Nerds tragen auch wieder Pullunder, wie einst swingende Studienräte aus den 80ern. Ebenfalls fast immer wahr: Hinter dem jazzenden Herrn und auch hinter der jazzenden Herrin steht …

THE JAZZ AMP

„Nimm dir einfach irgendwas, was laut macht und wirf ‘ne dicke Wolldecke drüber: Dann klingt es nach Jazz!“, habe ich in einem Expertenforum gelesen. Ähnliche Tipps wie Wollhandschuhe und/oder Watte in die Ohren sind wohl ebenfalls bekannt. Und wer mal nach 200 Kilometer Motorradfahrt Gitarre gespielt hat, weiß, dass man auch auf die Art einen feinen Jazz-Knödelton produzieren kann – wenn auch nur im eigenen Kopf. Oder man wartet einfach aufs Alter und den damit eingehenden Verlust des Hörvermögens im höheren Spektrum – dann klingt auch eine Western-Gitarre wie Jim Halls Archtop.

 

Kommen wir aber trotz dieser diversen Low-Budget-Möglichkeiten zu den amtlichen Hilfsmitteln! Es ist schon erstaunlich, was gutes Marketing alles auslösen kann: Rolands berühmter JC-120, der „Jazz-Chorus“-Combo, ist ein Twin-Reverb-großer Reisekoffer mit ultracleanem Transistorklang, nettem Hall, einem sehr lebendigen Chorus-Effekt, plus einer Distortion-Einheit die Haarausfall verursacht – alles keine idealen Features für den sich selbst mit Archtop-Koffer und Amp zum Gig schleppenden Jazzer mit überkämmten Geheimratsecken. Und rein klanglich ist diese Kiste doch schon recht klinisch, das auch in den bekannten Varianten JC-160, JC-55, JC-40, etc. mit verschiedensten Speaker-Kombinationen. Aber anscheinend reicht manchem der Jazz-Anteil in der Produktbezeichnung. Nomen est Omen. Es gibt natürlich auch Gitarristen, die mit einem Roland-JC-Modell einen großartigen Sound hinbekommen, das möchte ich nicht bestreiten. Aber sie sind rar …

Auch der FX-Hersteller Electro Harmonix hat ein Tool im Repertoire, das aus jeder Eierschneider-Strat eine Appartement-wärmende Archtop zaubert, was den höhenarmen Sound angeht: “The Mole” heißt der kleine Bass-Booster, der selbst mit der originalen Mike-Matthews-9-Volt-Blockbatterie aber nur selten zu brauchbaren Ergebnissen – sprich einem durchsetzungsfähigen Handschuhton führt. Das gilt auch für Yamahas Bassisten-Wunderkästchen NE-1 (nur echt mit der echten “Eastpower”-9-Volt-Zelle), das durchaus für Experimente mit manchen Amps taugt, aber keine Instant-Lösung bietet, dto. der feine Filter von t.c. electronic, der Dual Parametric Equalizer. Um einen zumindest ansatzweise passenden Amp, mit dem gewünschten Grundverhalten in Sachen Jazz, kommt man nicht rum.

Momentan versucht es der Hersteller DV Mark mit den Combos Little Jazz und Jazz 12 auf diesem Terrain. Auch Ibanez The Wholetone WT80 (mit Hall, Chorus und einem 15″-Speaker), der ZT The Club CLG1S im Handtaschenformat, oder einer der vielen neueren Roland Cubes, bei denen für meinen Geschmack die verzerrten Sounds besser klingen als die cleanen, sind potenzielle Mitbewerber. Fender bietet seinen Hot Rod Deluxe mit und ohne den Beinamen „George Benson“ an, weniger bekannt sind der Fender Jazz King und der Jazzmaster-Amp. Einige Jazzer spielen dafür Roots-bewusst auch mal gerne den Fender Blues Junior. Interessanterweise aber auch Vox-Amps, mit denen man John Scofield regelmäßig sieht, auch Kenny Burrell oder den deutschen Jazz-Musiker Axel Fischbacher. Michael Sagmeister spielte jahrelang die Lab-Series-Amps, Transistorverstärker mit eingebautem Kompressor – und er hatte damit immer einen sehr eigenen, charakteristischen Sound. B.B. King klang mit Lab-Amps dagegen wie immer. Der große Volker Kriegel spielte als einziger mir bekannte Jazz-Musiker einen englischen HH-Amp – einen gut klingenden und ultraschweren 2×12“-Combo mit grünlich schimmernder Frontbeleuchtung.

Der legendäre, meist kleine schwarze Polytone war Jahrzehnte lang immer das Synonym des Jazz-Amp für Gitarre und Kontrabass – auch ohne den Verwendungszweck im Namen vorzugeben. Mini-Brute, Teenie-Brute etc. hießen die Brüllwürfel, die in den 70ern noch mit Samt überzogen waren und eine dicke Lage Schaumstoff vor dem Speaker hatten. Polytones klangen immer warm und voll, setzten sich im Trio mit Bass und Drums sauber durch, hatten dafür einen Hall der wenig spektakulär klang, und auch noch brummte, wenn man ihn aufdrehte. Und auch einen Verzerrer findet man in einigen Polytones, gegen der die Säge vom Jazz-Chorus geradezu dezent nach Boutique klang.

Polytone-Amps sind heute für viele Musiker „Gear für die Gestrigen“, man spielt in Jazz-Nerd-Kreisen lieber die hässlichblauen Henriksen-Combos bzw. Amp/Box-Setups, die mehr Höhen, aber für manchen Geschmack trotzdem weniger Präsenz haben; aber Larry Coryell, Joe Diorio, Howard Alden, Ronny Jordan u.a. denken anders darüber. Oder gleich einen Acoustic-Amp nehmen? Aber AER, Acoustic Image oder ein alter kackbrauner Framus Acoustifier (tolle Kisten, vom Sound her) sind eben keine so richtigen Jazz-Amps. Mmh.

Was gibt’s noch: John Abercrombie spielt Evans-Amps, Größen wie Jack Wilkins, Joe Beck und Ulf Wakenius verwenden Jazzkat-Amps, vom Frankfurter Designer Thomas Reußenzehn gibt’s ein Röhrentop mit Archtop-Optimierung und auch der Kölner Tonehunter hat sich mit dem Clear Water was für Jazzer ausgedacht … da kommt schon einiges zusammen, wenn man mal über den Markt schlendert.

Einen interessanten Hinweis zum Thema fand ich auf der informativen wie unterhaltsamen Website http://www.jazzguitar.be: Man hatte 5000 Jazz-Musiker nach ihren Verstärkungsgewohnheiten gefragt, und kam zu folgendem Ergebnis: 30 % spielten Fender-Amps, 13 % Roland, es folgen Vox-User mit 5%, Peavey mit 4,5%, Polytone mit nur 3%, Mesa/Boogie, Marshall und Henriksen erreichten je 2,5%, AER, Line6 2%, Yamaha, Hughes & Kettner 1%, und dann wird’s für Fishman, Ibanez, Ampeg, Jazzcat, ZT, Gibson und Co. homöopathisch. 25 % der Befragten spielen angeblich andere Amps – eine Angabe, die mich an der Repräsentativität der Umfrage bzw. dem Bewusstseinszustand der Befragten zweifeln lässt. Welche Amps sollen das denn dann bitte sein, die man nie auf den Club-Bühnen sieht? Diezel? Fame? Luxor? Oder die Geheimtipp-Abteilung der Jazz-Polizei ist doch größer, als wir alle dachten …

Sympathisch ist da doch das Fender-Phänomen mit 30 % der Jazz-Gitarristen: Klar, kleine und mittlere Fender-Combos wie der Princeton oder der Deluxe sind, auch dank ihres meist gut klingenden Halls und tragbaren Gewichts relativ neutral klingende Lautmacher, die manche Archtop ganz sicher individueller klingen lassen und auch spielerische Feinheiten besser rüberbringen, als der Mittenterminator Polytone, der auch mit einer Telecaster nach Jazz klingt. OK, etwas übertrieben, und es gibt ja auch Gegenbeispiele: John Scofield, Attila Zoller und Jim Hall klangen mit Polytones nach sich selbst – was sie aber bestimmt auch mit Fender-Amps getan hätten. Und Mike Sterns legendärer Sound der 80er hat ganz sicher (abgesehen vom Handwerk) mehr mit seiner Spielweise und seinen Effekten zu tun als mit dem von ihm lange präferierten Yamaha-Transistor-Amps der Prä-G-Serie (angeblich hatte auch Allan Holdsworth zeitweise Yamahas im Einsatz). Auch Volker Kriegel spielte auf seiner Afrika-Tour mit Mild Maniac, 1979, seine Ibanez-Artist-Solidbody über einen Yamaha Fifty112 – und hatte einen gewohnt warmen, flexiblen Ton.

Da man diese für 150 bis 250 Euro immer noch fast geschenkt bekommt, habe ich einmal den Fifty112 und den Twentyfive112 getestet, und bin begeistert: Warm klingende Transistor-Amps, guter Hall, brauchbare Klangregelung und ein eingebauter Verzerrer, der als Booster in den ersten 10% Regelweg sehr ordentlich klingt. Der Yamaha-Twentyfive112 der ersten Serie klingt vor allem mit der weiter oben abgebildeten alten Aria-L5-Kopie PE-180 richtig gut – für meinen Geschmack. Und wenn ich dann die Aria-Archtop an einen 70s Princeton Reverb Silverface anschließe – wirklich der bessere Amp – dann klingt die ganze Geschichte bei Mietwohnungslautstärke extrem dünn und piddelig. Drehe ich den Princeton aber auf 3 bis 5 auf und die Archtop zurück, habe ich ganz schnell den fettesten, schmatzigen Wes-Sound der Welt. Viel Wege führen nach Montgomery.

Wo hingegen der fette warme Fender-Bruder Music Man (z.B. der 112RD oder 115RP) zwar auch leise mehr Druck macht, aber sehr viel wählerischer ist, ob ihm eine Archtop gefällt oder nicht, da er zum Dröhnen neigt. Da ist mancher Mesa/Boogie (Mark I und II oder der S.O.B.) bei Einstellungen ohne oder mit ganz wenig Verzerrung versöhnlicher; und letztendlich ist der alte Boogie genetisch betrachtet ja ein eindeutiger Fender-Princeton-Nachfahre, nur mit Übergewicht. Scofield, Holdsworth, Carlton u.a. spielen bekanntlich auch schon mal Mesa/Boogie …

Was ist denn jetzt bitte ein Jazz-Amp? Oder ein Jazz-Ton? Ich habe schon fünf- oder sechsmal in meinem Leben einen Polytone-Amp besessen, Modelle mit 12“-, 10“- und 15“-Speaker, alte, neue, mit Hall und ohne. Gekauft hatte ich mir die Kisten, weil ich irgendwo mal wieder einen Jazzer mit diesem Amp gehört hatte, und beide klangen einfach großartig zusammen. Das bildete ich mir dann auch immer ein paar Wochen lang von mir ein, aber dann fand ich meinen Poly-Ton regelmäßig langweilig.

Beim Mini-Brute mit seinem einen, charakteristischen Sound fällt es natürlich besonders deutlich auf, wenn man nur beschränkt individuelle Tonbildung im Angebot hat oder bei den Feinheiten im Anschlag schlampt. Dann klingt man eben auch mit diesem „Jazz-Amp“nicht – sehr wahrscheinlich aber auch mit keinem anderen Verstärker. Ich bin also diesem Jazz-Image-Hype genau so auf den Leim gegangen wie viele andere, und immer wieder. „Wenn das ein Jazz-Amp ist, dann muss da doch was dran sein …?“ Aber ich bin relativ sicher, dass ich mir irgendwann wieder einen Polytone zulege. Die Teile sind einfach Kult! Und außerdem hat sich meine Katze immer gerne auf das Samtgehäuse gelegt.

Worauf will ich hinaus? Nun, dass mir von allen Amp-Individualisten die 2,5% Marshall-Jazzer aus der Umfrage schrecklich sympathisch sind, denn ihnen geht es offensichtlich komplett am Am7/9/b13 vorbei, was für ein falsches Zeichen sie sich da an die Jacke heften. Auch wenn die II-V-I-Fundamentalisten da anderer Meinung sind – nichts ist verboten! Selbst im Iran hat man das Recht auf die freie Verstärkerwahl. OK, man darf nur keinen Jazz spielen.

Wer den Polytone mit seinen drei Presets Low, Normal, High mag, soll ihn spielen – viele große Musiker (Joe Pass, Jim Hall, Herb Ellis, Scofield im Trio mit Steve Swallow & Adam Nussbaum) klangen großartig damit. Aber auch ohne. Und wer aus einem Roland-Jazz-Chorus seinen Wunschton rausholt, wird auch als Jazzer damit glücklich werden; Blues-Gitarrist Lucky Peterson war übrigens mal ein echter Fan des in den JC-120 eingebauten Verzerrer-Problems. Und ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die auch mit dem Polytone-Zerrer einen coolen Blues-Sound hinkriegen.

John Scofield spielt für seine eigenwilligen, angezerrten Sounds den Rat-Distortion, und wenn ich Gregor Hilden mit seinen Okko-Bodentretern höre, mit denen er wirklich großartig klingt, möchte ich die am liebsten sofort auf Scos Board tackern.

Aber wie gesagt: Alles Geschmackssache! Und wenn sich der individuelle Geschmack wirklich durchsetzt, unterstützt von den eigenen Ohren und den musikalischen Anforderungen der individuellen Spielpraxis, dann ist das der Idealfall. Wir müssen auch im Clean-Sound-dominierten Jazz-Bereich nicht swingend pro & contra Röhren diskutieren, ebenso wenig Transistor-Analog- oder Modeling- bzw. COSM-Emulation-Eigenarten auspendeln oder 10“-, 12“- oder 15“-Lautsprecherbestückungen verteidigen. Hören, fühlen, ausprobieren, in der Band testen … fertig! Mein Fazit: Es gibt keinen Jazz-Amp, außer du machst ihn zu einem.

Und seien wir doch mal ehrlich: Ob man Polytone-Samt, Cube-Kunstleder oder Fender-Tweed favorisiert, und ob bzw. dass man die Kiste tragen und bezahlen kann, hat ganz sicher schon manches Ohr milde gestimmt und so zu Kaufentscheidungen geführt. Am besten dann beim öffentlichen Gig einfach eine Wolldecke über den Amp werfen, dann gibt’s auch keinen Ärger mit den Kollegen von der Jazz-Sicherheit. Und es klingt!

TEXT & FOTOS: Lothar Trampert

 

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Dieser überarbeitete Artikel von Lothar Trampert wurde zuerst in Gitarre & Bass, Ausgabe 04/2015 veröffentlicht.

FEATURE: DER JAZZ AMP. Realität oder Illusion?