GUTE MUSIK 21

THE RESONATORS: HEADLONG

“Free Feeling” umschrieb Jimi Hendrix mal den Geist seiner Musik. Dieses hohe künstlerische Ziel scheinen sich auch Frank Gratkowski (sax), Sebastian Müller (g), Reza Askari (b) und Thomas Sauerborn (dr) in der hier vorliegenden Live-Aufnahme vom Februar 2021 aus dem Kölner Loft gesteckt zu haben. Und so klingt der erste Track von ,Headlong‘ gleich mal wie die Begegnung des späten Jimi Hendrix mit dem späten John Coltrane. Der starb allerdings exakt einen Monat, nach dem legendären Monterey Festival, bei dem Hendrix die US-Rock-Szene wachrüttelte. Wachrütteln können auch The Resonators, deren Spektrum von Free Jazz über krachende Noise-Attacken bis hin zu sensiblen Soundscapes reicht – immer mit ganz großem Überraschungspotential und noch mehr Intensität. Kontrabassist Reza Askari und E-Gitarrist Sebastian Müller sind ein echtes Team, haben live im Duo gespielt und mit ihrer experimentell rockenden Band Colonel Petrov’s Good Judgement zwei Alben veröffentlicht. Gemeinsam mit Saxophonist Frank Gratkowski und dem energetischen Drummer Thomas Sauerborn gelingt ihnen hier der berühmte musikalische Puls, der sich als gelegentlich abstrakte Konstante durch die freien Ausbrüche zieht, so wie es früher im Jazz mal der Swing und der walkende Kontrabass waren. Dass diese Musiker aber auch transparent, fast klassisch-virtuos, solistisch, dabei aber immer noch free interagierend abliefern können, zeigt u.a. der vorletzte Album-Track ,Conjugate Dimensions‘ – absolut großartig. Und im Finale ,Infinite Action Space‘ hört man noch mal Gitarrist Müller in atemberaubender Holdsworth@McLaughlin-Technik im Duell mit dem Altsaxophon, darunter der pumpende, tiefe Bass und das kochenden Schlagzeug. Free Feeling auf höchstem Energie-Level. Musik und weitere Infos gibt’s bei theresonators2021.bandcamp.com. lt

MARCUS DEML: HEALING HANDS

Seit fast einem Vierteljahrhundert staune ich immer wieder über diesen Musiker. Als erstes berührt mich Marcus Deml jedes Mal mit seinem Ton, der dynamisch, plastisch und geradezu farbig rüberkommt und dessen sich ständig variierte Übersteuerung ihm ein Eigenleben gibt. Viele Gitarristen kämpfen mit dem Ton, Marcus hat ein Duo auf Augenhöhe mit ihm. Und was der 1967 in Prag geborene Gitarrist noch alles aus seinen diversen Stratocasters mit diesem Ton weiterzaubert, und wie er letztendlich damit intelligent komponierte und spannend arrangierte Gitarrenmusik auf Live-Bühnen und Tonträgern inszeniert, ist ebenso beeindruckend. Das liegt sicher auch daran, dass Demls Spiel immer bodenständig ist – oder besser: Bodenhaftung behält, auch wenn er mal in andere Sphären abhebt und Jazz, Electronica oder HipHop küsst. 

Nach seinem Schulabschluss studierte Marcus am G.I.T. in Los Angeles, unterrichtete dann selbst dort und arbeitete als Tour- und Studio-Gitarrist. Sieben Jahre später, zurück in Deutschland, machte er genau das weiter: Touren Sessions, Unterrichten. Mit dem Keyboarder Ralf Hildenbeutel gründete er das Ambient-Projekt Earth Nation, 1998 erschien Demls erste Solo-Produktion unter dem Namen “Errorhead”, fünf weitere und eine Live-DVD folgten. Nach dem Jazz-Rock-Projekt “Electric Outlet” startete Marcus die Blues-Rock-Band “The Blue Poets”, gründete dann 2016 sein eigenes Label Triple Coil Music, um jetzt wirklich absolut selbstbestimmt arbeiten zu können. Da war ein instrumentales Solo-Album nur eine Frage der Zeit. Letztere hatte er in den vergangenen anderthalb Jahren genug, und so entstand das neue Werk ,Healing Hands‘, das am 26.11.2021 veröffentlicht wird. Mit zehn Tracks in 40 Minuten ist dieses Album ein abwechslungsreicher Trip durch die musikalischen und gitarristischen Welten von Rock, Blues, Jazz und Fusion, mit kleinen Ausflügen in Gypsy Swing und Flamenco, wie in ,Madre De Moraira‘ und dem Django Reinhardt gewidmeten Stück ,La Gitana‘. Wobei man dann einen Track weiter sofort merkt, dass Demls emotionale Kernkompetenz eindeutig im Bereich der angezerrten E-Gitarren-Sounds liegt, denen er mit zehn Fingern und dem Volume-Regler tausend Farben abgewinnt. Und Marcus Deml hat immer noch die Rock-Power seines Idols Gary Moore, und auch die Open-Mindedness und Akribie von Allan Holdsworth, den er ebenfalls bewundert. Dazu kommt diese unbezähmbare Mischung aus Blues, Rock, Psychedelic und R&B, mit der Jimi Hendrix vor 55 Jahren die Pop-Welt verblüffte. Und Handwerk: Denn auch wenn sich Deml manches Lick locker aus dem Handgelenk schüttelt, steckt da extrem viel Können, Wissen und Erfahrung hinter. In dem Punkt steht die Marcus-Deml-Experience der Unnachahmbarkeit des B.B.-King-Allzweck-Licks in nichts nach. Und dann hat er auch noch Humor in diesen knapp zwei Minuten Country-Punk, nur begleitet von Drummer Ralf Gustke. Ob die Ländler-Gemeinde über diese ,Hillbilly Cadenza‘ lachen kann, lasse ich mal offen.
Mit ,Si Senor!‘ bietet Marcus außerdem noch eine rockende Alternative zum neuen Santana-Album – und eine wirklich krachende Verneigung vor Meister Carlos.

Mein Lieblingstitel von ,Healing Hands‘ ist, neben dem ,Immigrant Blues‘, eindeutig das Grande Finale: ,Foggy‘ zeigt alles, was ich an diesem Gitarristen liebe in einem Track und aus einem Guss. Und diese Power-Ballade spielt wahrscheinlich niemand so, wie Marcus Deml. Von dieser Art Instrumental kann ich mir noch ein ganzes, langes, soulig-bluesiges Album vorstellen. 

Und weil der Künstler weiß, wie viele seiner Fans Gitarristinnen und Gitarristen sind, findet man im CD-DigiPak neben dem Tonträger noch ein 24-seitiges Booklet mit vielen Fotos, Infos, einer Short-Story zu jedem Track, inklusive Equipment-Liste. Perfekt! Wer diesen Musiker unterstützen will, kauft ,Healing Hands‘ direkt beim Erzeuger, nämlich in Marcus’ Shop unter http://www.triplecoilmusic.com. Ein energetisches, authentisches und abwechslungsreiches Album! lt G&B

Der 1967 in Prag geborene Gitarrist Marcus Deml ist ein stilistischer Allrounder, aber dabei auch ein Musiker, der immer seinen eigenen Ton hat und authentisch klingt. Deml studierte am G.I.T. in Los Angeles, unterrichtete dann selbst dort und arbeitete als Tour- und Studio-Musiker. Nach diversen eigenen Projekten – der Ambient-Formation Earth Nation mit Keyboarder Ralf Hildenbeutel, dem elektrorockigen Solo-Trip Errorhead, der Jazz-Rock-Formation Electric Outlet und der Blues-Band The Blue Poets – gründete er 2016 sein eigenes Label Triple Coil Music. Hier erschien jetzt auch das neue Werk ,Healing Hands‘, das mit zehn Tracks in 40 Minuten ein abwechslungsreicher Trip durch die diversen musikalischen und gitarristischen Welten, inklusive kleinen Ausflügen in Gypsy-Swing und Flamenco. Wobei Marcus Demls Ausdruckspotenzial bei zerrenden, singenden Gitarren-Sounds, irgendwo zwischen Gary Moore, Jeff Beck und Allan Holdsworth, am größten ist. Sein open minded Crossover-Zugang steht dem von Jimi Hendrix, der vor 55 Jahren die Pop-Welt und Miles Davis verblüffte, in nichts nach: Blues, Rock, Psychedelic, Soul, R&B, Electro, Jazz und R&B an gutem Handwerk, gepaart mit viel Geschmack und Repertoire-Kenntnis – das charakterisiert diesen kreativen Grenzgänger. Im CD-DigiPak findet man neben dem Tonträger noch ein sehr informatives 24-seitiges Booklet mit vielen Fotos und einer detaillierten Equipment-Liste für die Musiker unter den Fans. lt JAZZthetik

JAZANDO GUITAR DUO: LA FIESTA

“Die beiden Musiker loten die Klangvielfalt der akustischen Gitarre – Nylonstring und Steelstring- sowie die Nuancen des Duospiels aus” lese ich im Presseinfo. Und höre zwei Akustikgitarristen, kanalgetrennt im Stereo-Klangbild zu orten und tatsächlich klanglich deutlich unterscheidbar: An der klassischen Camps-Nylonstring-Konzertgitarre ist Jost Edelhoff aktiv, die stahlbesaitete Taylor bedient Christoph Steiner. Das Jazando Guitar Duo ist schon einige Jahre aktiv – beim letzten Album ,Jazz It Up!‘ kontrastierten die beiden Instrumentalisten klassische Musik von Mozart, Barber, Satie, Bach u.a. sehr gelungen mit jazzigem Gitarrenspiel. Jetzt ist alles anders: Das aktuelle Album ,La Fiesta‘ startet mit dem gleichnamigen HöherSchnellerWeiter-Beweisstück von Chick Corea, im weiteren Verlauf folgen noch ,Armando’s Rhumba‘ und ,Spain‘ – und noch zwölf weniger bekannte Kompositionen, u.a. von Astor Piazolla, Charlie Haden, Manuel De Falla. Die finde ich persönlich spannender, und Egberto Gismontis ,Agua e Vinho‘ ist für meinen Geschmack das stärkste, besinnlichste Stück dieses ansonsten eher schnellen Albums. Auch in Piazollas wunderbarem ,Libertango‘ klingen Edelhoff und Steiner gelöst und ihre individuellen, spielerischen Qualitäten kommen hier einfach am besten rüber. Mehr davon! lt 

BEADY BEAST. CHRISTY DORAN & FRANZ HELLMÜLLER: ON THE GO

Keine Frage: Dynamik gehört zu den Stärken dieses Schweizer Duos. Der 1949 in Irland geborene Christy Doran ist seit seiner 70s-Band OM einer der interessantesten europäischen Jazz-Gitarristen und hat immer wieder mit neuen Bands, Projekten und Produktionen überrascht. Sein Duo-Partner Franz Hellmüller (*1973) ist bisher ebenfalls eher als E-Gitarrist in Erscheinung getreten. Und jetzt lassen sie es gemeinsam so richtig krachen, und holen alles raus aus ihren akustischen Steelstrings. Die kraftvolle und dabei angenehm räumliche Aufnahme besorgte Andy Neresheimer vom Hard Studio Winterthur, und hier wird klar wie stark der Sound mit die Musik macht. Vor allem wenn die o.g. Dynamik und die Komplexität eines Acoustic-Gitarrentons eine so große Rolle spielen wie hier. Neun Tracks und eine knappe Stunde Gitarrenmusik sind zu hören, und man vermisst die oft etwas selbstverliebten esoterischen Klangmalereien ähnlicher Besetzungen überhaupt nicht. Denn Christy Doran und Franz Hellmüller setzen auf die Art von Powerplay, die ,Spaces‘ (1969) von Larry Coryell und John McLaughlin bis heute zu einem meiner Lieblings-Alben macht. Was aber ruhige Momente und eine Sensibilität im Zusammenspiel, mit sehr interaktiven, freien Improvisationen, die durchaus auch melodisch ausfallen können und feinen Klangnuancen nicht ausschließt, um zwei Tracks weiter gekonnte HiSpeed-Unisono-Licks abzufeuern – großartig! Fazit: ,On The Go‘ ist kein Genussmittel für schüchterne II-V-I-Homies, die sich nicht mal four blocks weiter raus wagen. Ein bisschen Free Feeling und Abenteuer muss man schon mögen, wenn man mit Beady Beast um die Häuser ziehen will. Dafür lernt man dann deren wirklich spannende, eigenen Welten kennen, mit Überraschungen an jeder Ecke. Ein absolut packendes, umwerfendes Duo-Album!

Ein ganz anders geartetes Duo-Projekt von Christy Doran mit dem bildenden Künstler Stefan Banz, ,Aerosols‘, erscheint in Kürze und wird in der kommenden Ausgabe vorgestellt. lt

DANIEL TAMAYO QUINTET: UNJUSTIFIED PARANOIA

Der in Köln lebende Gitarrist Daniel Felipe Tamayo Gómez stammt aus Medellín, Kolumbien, und hat mit seinem Quintet ein spannendes Album eingespielt, dessen erster Track mich atmosphärisch absolut an Volker Kriegels Meisterwerk ,Inside: Missing Link‘ (1972) erinnert: Denn diese Musik brodelt und brizzelt sehr eigenwillig, der Gitarrenton absolut retro, die Arrangements unerwartet eurojazzig, verspielt, experimentell. Neben Tamayo (guitar, electronics, composition) gehören noch

Yaroslav Likhachev (ts), Moritz Preisler (p), Simon Bräumer (dr) und Conrad Noll (b) zur Besetzung, wobei letzterer mit seinen gefühlvollen und kräftigen Basslines und Melodien wesentlichen Anteil am Gesamt-Sound hat. Aufgenommen wurde das Album im Kölner Topaz Studio von Reinhard Kobialka, für Musiker und CD-Käufer schon lange ein Garant für packende Klangerlebnisse. Und so klingt auch dieses Quintet wirklich groß, liefert Farben ab, die an beste MPS- und ECM-Zeiten erinnern. Und wenn Daniel dann mit warmem, verhalltem Ton zu einem in seiner Zurückhaltung an Mick Goodrick oder John Abercrombie erinnerndes Solo ansetzt, versteht man, dass hier ein wirklich eigenwilliger Komponist, Arrangeur und Gitarrist am Start ist, dessen Musik trotzdem eigenständig und auch eingängig ist. In den vergangenen Jahren war Daniel Tamayo als Komponist u.a. für das Bujazzo und das Subway Jazz Orchestra tätig, verfasste aber auch Kammermusik und Sinfonisches. 2015 wurde er beim Kompositionswettbewerb des Silesian Jazz Festival in Katowice ausgezeichnet, 2017 folgte der italienische Kompositionspreis Michele Novaro. Mehr über den Künstler erfährt man bei danieltamayo.bandcamp.com, wo man auch seine Musik kaufen kann. lt

+++ HATTLER: SUNDAE 

Seit 50 Jahren versorgt Hellmut Hattler, Musiker, Produzent & Bandleader, Fans seiner Band Kraan und der Duos Tab Two und Siyou’n’Hell mit neuem Material. Daneben spielte er als Gast mit Guru Guru, Fehlfarben und Deep-Dive-Corp., kooperierte regelmäßig mit den Gitarristen Ali Neander und Torsten DeWinkel, und veröffentlichte auch als Solist, in den vergangenen Dekaden eine Menge wunderbarer Musik zwischen den Stilen: Songs und Instrumentals, die das ganze breite Spektrum von Pop, Funk, Soul, Rock, Ambient, Jazz & more abdecken und Hellmut Hattlers virtuose Handarbeit zuletzt auch verstärkt mit elektronischer Musik verknüpft haben. “Hattler” nannte Hattler im Jahr 2000 sein neues Projekt, mit dem er etwas andere Wege ging. Schon das Debüt ,No Eats Yes‘ wurde 2001 als beste “Jazz-Produktion des Jahres” ausgezeichnet. Siebzehn Alben später, darunter die umwerfenden ,Surround Cuts‘ (2005), eine Mehrkanal-DVD mit experimentellen Videos und genial produziertem Raumklang, und zuletzt die drei Veröffentlichungen der ,Vinyl Cuts‘-Reihe, ist Hattler 2021 jetzt mit dem neuen Album ,Sundae‘ am Start. 

Die Tatsache, dass Musik und Kunst ein buntes Universum sein können, ein freier Spielraum, in dem man sich undogmatisch, unverkrampft und weltoffen ausleben kann, hat Hattler immer wieder neu reflektiert und interpretiert. Mit Musik, die eine wunderbare Leichtigkeit ausstrahlen kann, aber auch in manchen der zwölf neuen Tracks, wie dem Opener ,The Times We Never Had‘, ,Call‘ oder ,Random Conversation‘, groovend geheimnisvolle Tiefe und diese sehnsüchtigen Raumklänge zelebriert, in denen man sich warm verloren fühlen kann. Um eine Nummer weiter, in ,Rotten Rolls‘, mit einem gewagten Bass-Solo auf Hellmuts legendärem, lange verschollenen Rickenbacker-Viersaiter, eine leicht bizarre, highspeedige Retro-Dancefloor-Nummer abzuliefern – wie geschaffen für einen Tarantino-Soundtrack – oder in ,Die blaue Frau‘ zur E-Sitar von Torsten DeWinkel straight abzugrooven. 

Immer wieder einzigartig ist die Stimme von Fola Dada: eine Musikerin, die dir unaufdringlich extrem nahe kommen kann, ganz egal, ob sie mehr oder weniger konventionelle Songs wie ,Faking News‘ oder ,Pride‘ interpretiert, oder nur ein paar vokale Hooks beisteuert. Im jazz-rockenden ,Anaheim Jive‘ klingen die Musiker von Hattler – hier mit Trompeter Joo Kraus, Gitarrist Torsten de Winkel und Martin Kasper am Piano – fast ein bisschen nach dem großartigen Euro-Jazz-Rock der späten 1970er-Jahre, gepimpt mit einem HiEnergy-Groove von Drummer Oli Rubow. Ebenfalls sehr cool kommt das soundtrackige Instrumental ,Acid Blues No. 1‘, mit swingendem Gitarrensolo vor fetten Hammond-Harmonien rüber. Und dann das instrumentale ,Lieblingslied‘ mit Tab-Two-Partner Joo Kraus am Flügelhorn: Eine atmende, von Hellmut Hattlers E-Bass vor einem Streichquartett gespielte, sehr starke kleine Melodie … – Musik, die berührt.

,Sundae‘ ist ein immer wieder überraschender kleiner Trip durch eine lange Band-Karriere. Intensive Musik mit diesem warmem Vibe, der dich irgendwie zuhause fühlen lässt. Das Album erscheint am 12. November 2021, weitere Infos und auch Songtexte gibt’s bei http://www.bassball.net lt

+++ HEINER RENNEBAUM DOPPELQUARTETT: BEBOP BIZARRE 

Knapp zwei Jahre nach dem beeindruckenden Live-Mitschnitt seines Doppel-Quartetts, hat Gitarrist, Komponist & Bandleader Heiner Rennebaum jetzt ein weiteres Album veröffentlicht: ,BeBop Bizarre‘ wurde in den Kölner Topaz Studios von Reinhard Kobialka aufgenommen und von Fritz Hilpert (Kraftwerk) gemischt und gemastert – die Credits gibt es für den plastischen, lebendigen und raumfüllenden Sound. Zu hören sind das Streichquartett mit Julia Brüssel (violine), Pauline Buss (viola), Conrad Noll & Veit Steinmann (celli) und das Jazz-Quartett von Jan Klare (sax/fl), Alex Morsey (b), Max Hilpert (dr) und Gitarrist Heiner Rennebaum natürlich wieder gemeinsam – in aller Unberechenbarkeit. Ein Beispiel: Der Titel-Track des Albums mutiert nach ein paar Minuten zu einem Crossover aus Neuer Musik und ,Bitches Brew‘, mit Ringmodulator und bellender, angezerrter Wah-Gitarre (so wie sie im August 1969 John McLaughlin spielte), aber in Miles-Davis-Laune. Das klingt nach einem ausdrucksstarken Jazz-&-more-Gitarristen, der Heiner Rennebaum ohne Frage ist. Und ein Komponist, Arrangeur und Projektleiter, der Spannung erzeugen kann. Klangreise! Das Album kann über Bandcamp oder http://www.rennebaum.de bezogen werden. Auf der Website findet man auch Videos und Informationen zu weiteren Projekten, u.a.a. zu Rennebaums Weiterentwicklung der Kompensationsspulenschaltung für Stratocaster und andere E-Gitarren mit Singlecoil-Pickups, die vom Deutschen Patent- und Markenamt anerkannt wurde. lt

+++ DAVID PLATE: BULL’S EYE
Ein vielseitiger Musiker mit einem abwechslungsreichen Album: David Plate studierte Jazz-Gitarre und Komposition, ist Dozent für Arrangement und Instrumentation an den Musikhochschulen in Detmold und Köln, und er hat bisher acht CDs veröffentlicht, in fast allen Besetzungen vom Alleingang bis zur BigBand. Die Kompositionen für ,Bull’s Eye‘ hat Plate mit seinem Septett aufgenommen: Hubert Winter (sax), Alexander Morsey (b), Shawn Grocott (tb), Matthias Knoop (tp), Mirek Pyschny (dr) und Jura Wajda (p). Und diese Musiker können funky abgrooven, dann relaxed wie eine der vielen genialen Carla Bley Bands klingen, oder auch mal in ganz ruhigen Momente David Plate an der Gitarre alleine spielen lassen. Nylonstring- und Archtop-Jazz-Gitarren sind hier zu hören, die Plate sehr geschmackvoll einsetzt – in jedem Track hört man den Arrangeur raus, der sich zwar genug solistischen Raum lässt, dem es aber um das gesamte Klanggebilde und die Umsetzung der meist komplexen Kompositionen geht. Das Album und weitere Infos über diesen vielseitigen Musiker und seine Projekte gibt’s unter http://www.jazz-guitar.de lt

+++ MARC JOHNSON: OVERPASS

Wer sich einmal hinter einen Kontrabass gestellt und ein paar Töne gezupft hat, kennt die physische Dimension dieses großen Instruments. Und diese ganz tiefen Töne haben auch noch die Eigenart, dass sie nicht die schnellsten sind, also mit sehr speziellem Timing rausgeschickt werden müssen, wenn man mit anderen Musikern, z.B. einem vor dem Beat pulsierenden Drummer zusammenspielt. Das hat sich der legendäre Marc Johnson auf ,Overpass‘ erspart, denn hier hört man ihn solo: vier Saiten, zwei Hände, ein Kopf, und gelegentlich noch ein Bogen – bei einem Track, dem an seine Band Bass Desires (mit Bill Frisell, John Scofield und Peter Erskine) erinnernden ,Samurai Fly‘, ist er mittels Overdub auch mal im Duo mit sich selbst zu hören. Ansonsten erlebt man hier Kontrabass pur, aufgenommen mit etwas Raumanteil – der Hörer sitzt also ungefähr drei Meter vor Marc Johnson und erlebt seine Interpretationen von Eddie Harris’ ,Freedom Jazz Dance‘, Miles Davis’ ,Nardis‘, Alex Norths ,Love Theme From Spartacus‘ plus fünf eigene Kompositionen. ,Whorled Whirled World‘ hat eine geradezu technoide Dichte, die meisten anderen Tracks, wie ,Yin And Yang‘ oder ,And Strike Each Tuneful String‘ charakterisiert eine unglaublich entspannende Wirkung. Sie sind dabei aber auch eine intensive Lehrstunde in Minimalismus, aus der man diese andere wichtige Seite der Virtuosität mit nach Hause nimmt. lt

+++ RORY GALLAGHER: RORY GALLAGHER 50TH ANNIVERSARY

Ein genialer Sänger und vor allem Gitarrist war Rory Gallagher (*1948), ein Musiker zwischen Blues, Rock und Irish Folk. Er wurde aufgrund seines jahrelangen Konsums von Alkohol, Schmerzmitteln und Psychopharmaka nur 47 Jahre alt. Er starb am 14. Juni 1995 an den Folgen einer Lebertransplantation.

In Kontinental-Europa wurde Rory Gallagher am 23. Juli 1977 zum Superstar – sein Live-Auftritt in der ersten TV-Rockpalast-Nacht aus der Grugahalle in Essen bekannt; er war übrigens insgesamt fünfmal bei Rockpalast-Produktionen zu erleben. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon eine erfolgreiche Karriere hinter sich: Acht Solo-Alben waren seit 1971 erschienen, und davor war Rory ja auch schon mit dem großartigen Trio Taste produktiv, mit dem er vier LPs produziert hatte. Mit Taste machte sich Gallagher durch Gigs im Londoner Marquee Club und dann 1970 beim legendären Festival auf der Isle of Wight, wo auch Jimi Hendrix und Miles Davis auftraten, endgültig einen Namen in der britischen Rock-Szene. Zwei Zitate geben der Bedeutung dieses Gitarristen sehr gut Ausdruck: Auf die Frage, wie es sich anfühle, der beste Gitarrist der Welt zu sein, antwortete Jimi Hendrix in einem Interview: “Keine Ahnung. Da müsst Ihr Rory Gallagher fragen.” Und GN’R-Meister Slash diagnostizierte Dekaden später: “Es gibt eine Million Leute, die wie Stevie Ray Vaughan klingen, aber bisher ist mir noch keiner untergekommen, der mit Rory Gallagher zu vergleichen wäre.” 

1971 erschien dann Rorys selbstbetiteltes Solo-Debüt, das schon im Opener ,Laundromat‘ und in Jam-Tracks wie ,Can’t Believe It’s True‘ eindrucksvoll präsentierte, wie nahe sich Rock, Jazz und Blues damals noch waren, und wie wenig sich Gallaghers Taste-Alben von diesem Solo-Debüt unterschieden. Bei den Album-Aufnahmen spielte Rory alle Gitarren, aber auch Alt-Saxophon, Mundharmonika und Mandoline, Gerry McAvoy spielte Bass, Wilgar Campbell Schlagzeug – ein absolut energetisches Trio.

Anregung genug, diesen großartigen, tragischen Musiker zu entdecken? Oder neu zu entdecken? Zum 50-jährigen Jubiläum von ,Rory Gallagher‘ erscheint das geniale Debüt-Album neu abgemischt und ergänzt mit jeder Menge Bonus-Material auf drei Vinyl-LPs, als 2CD-Set, und als Deluxe-Boxset mit vier CDs und einer DVD. Letztere enthält neben den Originalaufnahmen noch 30 unveröffentlichte Outtakes & Alternate-Takes, einen Radio-Auftritt beim “John Peel Sunday Concert” mit sechs Songs sowie weitere Live-Mitschnitte der BBC. Die 50-minütige DVD liefert ein Interview und sieben Tracks aus Rorys erstem Konzert als Solo-Künstler. Dazu gibt’s noch ein 32-seitiges Booklet mit Fotos und Dokumenten, sowie Statements von Rorys Bruder und Manager Donal Gallagher und seinem Lieblings-Bassisten Gerry McAvoy, mit dem er von 1970 bis 1991 zusammenarbeitete. Alle Formate kommen zu vergleichsweise moderaten Preisen im Handel. Für Rory-Fans ein faires Fest. lt

+++ KADY DIARRA: BURKINA HAKILI

Zwischen Afro-Soul, Pop und der ethnischen Musik ihrer westafrikanischen Heimat Burkina Faso bewegen sich die Songs von Kady Diarra, deren Karriere als Sängerin, Tänzerin und Choreographin vor über dreißig Jahren begann. ,Burkina Hakili‘ heißt ihr neues Album, an dem mich neben den eigenwilligen Gesangslinien vor allem Bassist Moussa Koïta und die Gitarristen Thierry Servien und Olivier Kikteff faszinieren. Der Kontrast der cleanen, arpeggierten E-Gitarren-Licks, den angezerrten Lead-Spots und dem Klangteppich aus Percussion und Balafon verschwimmt und wird zu einer tragenden, fließenden, groovenden Basis. Ein tolles Album, das mich sehr an meine senegalesische Lieblings-Band Touré Kunda erinnert, die in den 80ern vor allem mit ihrem Live-Album ,Paris Ziguinchor Live‘ (1984) für Furore sorgten. Beide entdecken! lt

+++ ERKIN CAVUS & REENTKO DIRKS: ISTANBUL1900 

Zwei Gitarristen, zwei Kulturen und eine Musik, die berührt. Erkin Cavus, geboren 1977 in Bulgarien als Sohn türkischstämmiger Eltern, wuchs in Istanbul auf. Er studierte später in Weimar Klassische Gitarre. An der Musikhochschule Dresden belegte er einen kultur- und stilübergreifenden Studiengang, bei dem er Reentko Dirks (*1979) kennenlernte, mit dem er das Duo Kalkan gründete. 2005 ging Cavus zurück nach Istanbul und spielte u.a. mit seinem Vorbild, dem legendären Fretless-Gitarren-Pionier Erkan Ogur und in der Band des türkischen Popstars Ferhat Göcer. Dirks veröffentlichte einige Solo-Alben, spielte im European Guitar Quartet, mit der Worldmusic-Jazz-Band Masaa und arbeitete u.a. mit Giora Feidman, Ben Becker, Tim Bendzko, Andreas Bourani, Bosse und Max Mutzke zusammen. 2017 setzten die beiden Musiker ihre Kooperation fort. Ihre neue Produktion heißt ,Istanbul 1900‘, zu der sie Fotos des berühmten Fotografen Ara Güler (*1928 +2018), eines Chronisten der Stadt Istanbul, inspiriert haben. Reentko Dirks spielt auf den sehr warm und räumlich klingenden Aufnahmen eine Bariton- und auch eine Oktav-Gitarre. Erkin Cavus’ Instrument ist eine akustische Doubleneck mit einem bundlosen und einem Standard-Konzertgitarrenhals, wobei die obere Fretless-Sektion für den orientalischen Anteil der Musik zuständig ist und gelegentlich an die arabische Laute Oud erinnert. Musikalisch fühlt sich dieses akustische Gitarren-Album an wie eine Reise zwischen den Welten und Kontinenten, und für dieses Gefühl stand die weltoffene Stadt Istanbul immer. Leider ist auch sie Opfer einer politischen Elite, die seit Jahren eine große Kultur und ganz viele Menschen ihren Profit-Interessen opfert. “Istanbul 1900 ist 150.000 traditionellen Händlern, Künstlern und Arbeitern gewidmet, die 2020 ihre Arbeit verloren haben”, schreiben Cavus & Dirks im Booklet zur CD. Musiker mit Haltung! lt

+++ DAVID RITER: INTRODUCING

David Riter ist 23 Jahre alt, Gitarrist und studiert seit dem Wintersemester 2019 an der Hochschule für Musik und Tanz Köln Jazz-Gitarre. Angefangen hat er vor zehn Jahren, seinen ersten Konzert-Auftritt hatte er mit 17. Vor einigen Monaten erschien sein selbst produziertes Debüt-Album ,Introducing David Riter‘ – mit Christoph Bohrmann am Kontrabass und Sven Jungbeck an der Rhythmusgitarre – das neben zwei Django-Reinhardt-Klassikern einige swingende Jazz-Standards präsentiert. David stammt aus einer Kölner Sinti-Familie, sein Vater und ein Onkel spielten Gitarre, und so hatte er irgendwann auch das Instrument in der Hand und gleich kompetente Lehrer. Sein Talent beeindruckte, er bekam über das Kölner Jugendzentrum “Die Villa” Unterricht bei José Díaz de León und wurde außerdem von der Engels-Schuster-Stiftung und der Liselotte und Dr. Helmut Müller Stiftung unterstützt, um die Vorbereitung auf die Hochschulprüfung zu organisieren. Die hat David bestanden und studiert jetzt bei Bruno Müller und Frank Haunschild. Inzwischen hat er sich, von seiner Ausgangsbasis Gypsy-Swing ausgehend, auch dem Rest der Musikwelt geöffnet, z.B. mit seinem sehr cool klingenden Trio TriBop, mit Vibraphonist Mathieu Clement und Daniel Oetz Salcines am Kontrabass – eine großartige Band. Auf ,Introducing‘ hat David Riter noch mal seine Wurzeln präsentiert und gezeigt, dass er die Sprache des Gypsy-Swing perfekt beherrscht. Von diesem Gitarristen werden wir noch hören! Sein Album kann man direkt bei ihm bestellen: david.riter@gmx.de  lt

++++ CLAUS BOESSER-FERRARI: THE WIND CRIES MARY

Hendrix-Cover-Alben gibt es jede Menge, und auch schon ein paar sich in Ehrfurcht verneigende Tribute-Alben, die etwas abstrakter zur Sache gingen – allen Voraus das geniale, 1992 erschienene Sampling-Meisterwerk ,If 60s Were 90s‘ von Beautiful People. Claus Boesser-Ferrari, Jahrgang 1952, überrascht seit einem Vierteljahrhundert mit eigenwilliger Gitarrenmusik, und solche war dann auch nach seiner Beschäftigung mit der Musik von Jimi Hendrix zu erwarten. Mit verschiedenen Akustikgitarren – normalen Sechssaitern, einer 7-String-Bariton sowie diversen 8-String- und 12-String-Instrumenten – hat er jiminterpretiert, frei, spontan, mal kurz klassisch virtuos, dann wieder eruptiv, geräuschhaft, mit ganz viel Hall und Echo, oft bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, alles direkt ins Aufnahmegerät, ohne Overdubs. „Dieser Typ im ‚Beat Club‘, 1967, hat mich zunächst aus der Bahn geworfen: Ein Typ, der die Gitarre im ohrenbetäubenden Distortion-Sound stimmt; dass er sie mit seiner meterlangen Zunge zum Klingen bringt war nur ein fordernder Nebeneffekt. Ich war fasziniert und verstört von dieser Performance und hatte als Gitarren-Band-Einsteiger das deutliche Gefühl, dass es hier um weit mehr als um Musik ging”, schreibt Claus im Booklet der CD über Hendrix. “Ich habe mir dann einen Schaller-Tonabnehmer für 24,- DM mit Reißnägeln auf meine Höfner-Wandergitarre genagelt und zwei Röhrenradios an einem Nachmittag gekillt.” Dass seine Verbindung zur Musik von Hendrix eine lange gereifte ist, hört man auch auf diesem neuen Album in jedem Ton, denn Claus Boesser-Ferrari jam(m)t hier so frei und locker mit sich selbst über Fragmente aus Jimi-Tracks, das kann man sich nicht an drei Tagen beibringen. Seine Musik wird ganz sicher einigen Hendrix-Fans nicht gefallen – das geht allen Künstlern so, die neue Wege gehen. Aber ich bin sicher, ihr gemeinsames Idol hätte gelächelt und bei nächster Gelegenheit mal wieder zur akustischen Gitarre gegriffen – und sie über ein paar Effektkanäle des Studio-Pults gejagt. Kunst kommt von Machen – und Claus hat es getan. Tolles Album. lt

++++ JOCHEN SCHRUMPF & PATRIC SIEWERT: SLOW

Ein gutes halbes Jahr nach ihrem gemeinsamen Album ,Pulse‘ sind der von Ceddo, Kollektiv, Missus Beastley u.a. bekannte Gitarrist Jochen Schrumpf (*1952) und E-Bassist Patric Siewert (*1977) schon wieder am Start. ,Slow‘ heißt ihr Duo-Album, mit dem die Dortmund-Herne-Jazz-Connection weiter ihren transparenten, kammermusikalischen Weg geht. Schrumpfs akustische und elektrische Gitarrenbeiträge, oft mit interessanten Effekten angereichert und von Loops oder Akkord-Sequenzen unterlegt, und der rhythmisch wie harmonisch tragende 6-String-Fretless-Bass ergänzen sich hier sehr schön und erzeugen Dichte ohne Frickeleien. Zwei erfahrene Musiker und Pädagogen haben hier Spaß – und der kommt rüber. Cooles Duo. lt

++++ MDOU MOCTAR: AFRIQUE VICTIME 

Mdou Moctar ist E-Gitarrist, Sänger und Songwriter, und er lebt und arbeitet in Agadez im Niger, dem zentralafrikanischen Sahara-Land zwischen Mali, Libyien, Tschad und Nigeria. Seit seinem 2019 erschienenen Album ,Ilana: The Creator‘ bekam er auch international Aufmerksamkeit und war u.a. als Support für Tame Impala unterwegs. Sein neues Album ,Afrique Victime‘ entstand auf drei Kontinenten in Studios, backstage und in Hotelzimmern. Produzent des Albums war Band-Bassist Mikey Coltun, der in Brooklyn lebt, zwei Tagesreisen von seinen Mitmusikern entfernt. Gemeinsam haben er, Mdou Moctar, der zweite Gitarrist Ahmoudou Madassane und Drummer Souleymane Ibrahim schon über 500 Shows gespielt.

Das von Europa aus “Desert Rock” gelabelte Genre der elektrifizierten Touareg-Musiker ist wirklich ein eigener Planet: der Groove, die Gitarrenspielweise, die Melodik haben eigentlich nicht viel mit Rock-Musik zu tun und so sind die Mdou Moctar oft zugeschriebenen Querverbindungen zu Jimi Hendrix und aktuell (wie im Presse-Info zum Album zu lesen ist) zu Eddie van Halen kaum nachvollziehbar und klischeehaft. Hier passiert etwas komplett anderes, denn diese Musik ist extrem stark mit der Touareg-Kultur verbunden. Klar erkennt man auch Parallelen zum modalen Blues – der durch die aus Westafrika nach Amerika entführten Sklaven entstanden ist – aber in Niger haben sich die gemeinsamen Wurzeln dann doch noch mal anders entwickelt, wobei der arabische Einfluss gelegentlich sogar dominiert. Auch das verstärkte und verzerrte E-Gitarrenspiel von Mdou Moctar ist immer noch stärker von traditionellen Saiteninstrumenten wie der Ngoni, Imzad oder der arabischen Laute Oud als von Jimi und Eddie geprägt.

Diese Musik klingt manchmal, wenn viel Delay und Phasing eingesetzt werden, wie Psychedelic-Rock auf Speed, gewürzt mit großen Hallräumen, dröhnenden Samples und Bässen mit Puls – um einen Track weiter auch mal wieder ganz nah, akustisch, traditionell zu klingen. Die Rhythmus-Gitarren der elektrischen Tracks wirken beim ersten Hinhören cool schrammelnd, der hypnotische Effekt dieser Musik hat aber viel mit ihrer absoluten Tightness zu tun. Irgendwie denke ich beim Hören immer wieder an Shoegazing-Sounds, an My Bloody Valentine, Mogwai, aber auch an Velvet Underground. Und dann die gewaltigen Lead-Spots von Mdou Moctar, die einfach nur Kraft, Dominanz und Elektrizität versprühen – was für eine intensive Musik! Ein absolut eigenständiger und eigenwilliger Künstler, dem gemeinsam mit seiner Band und einem kreativen Produzenten moderne ethnische Musik für Niger und den Rest der Welt gelungen ist. lt

++++ RONNIE WOOD BAND: MR LUCK – A TRIBUTE TO JIMMY REED. LIVE AT THE ROYAL ALBERT HALL

Und hier ist der zweite Teil der Tribute-Trilogie des Rolling-Stones-Gitarristen Ronnie Wood, der gerne noch mal seine musikalischen Helden feiern wollte, bevor er mit seiner Haupt-Band zur 763. Abschieds-Tournee startet. Nachdem er auf ,Mad Lad‘ Chuck Berry gefeiert hat, ist jetzt Jimmy Reed an der Reihe. 18 Tracks sind hier zu hören, und eine Menge exklusiver Gastmusiker wie Ex-Stone und Ronnie-Vorgänger Mick Taylor, Soul-Legende Bobby Womack, Simply-Red-Frontman Mick Hucknall und BritPop-Veteran Paul Weller. Es geht um elektrischen Mississippi-Blues, der hier in ausgiebigen Jams zelebriert wird, und hier zeigen sich Wood & Taylor einmal mehr als zwei sehr coole Blues-Rock-Gitarristen. Aufgenommen wurde dieses Album bereits am 1. November 2013 in der Londoner Royal Albert Hall. „Jimmy Reed war einer der wichtigsten Einflüsse auf die Rolling Stones und überhaupt auf alle Bands, die den amerikanischen Blues von der damaligen Ära bis zum heutigen Tag lieben”, erzählte Ronnie Wood zu diesem Projekt. “Es ist mir eine Ehre, sein Leben und sein Vermächtnis mit diesem Tribut zu feiern.” Das ist gelungen, denn dieses Live-Album rockt, groovt und walkt absolut lebendig drauf los, klingt gut und macht auch Spaß beim Mitjammen. Dann können wir gespannt auf Teil 3 dieses Projekts sein. lt

++++ GEORGE HARRISON: ALL THINGS MUST PASS SPECIAL EDITION 

Als Beatles-Fan, der die Band erst nach ihrer Auflösung kennenlernte, lebte man in den 70ern im Spannungsfeld der alten Original-Alben und der immer wieder erscheinenden Solo-Werke der vier Liverpooler. Mein damaliger und bis heute einsamer Favorit ist George Harrisons Meisterwerk ,All Things Must Pass‘, erschienen am 27. November 1970, das wirklich kein ganz normales Pop-Album war. Es wurde wenige Wochen nach der Auflösung der Beatles im April 1970 aufgenommen, und in der Box mit den drei LPs befand sich auch noch ein gefaltetes Riesen-Poster des geheimnisvollen George, Bart und Hut tragend im Halbdunkel. Es war wirklich weniger sein Pop-Ladendiebstahl und Mega-Hit ,My Sweet Lord‘ der mich faszinierte, denn Songs wie ,Isn’t It A Pity‘, ,Beware Of Darkness‘, ,Hear Me Lord‘ waren noch intensiver. Und dann war da LP 3 mit instrumentalen Jams, denen die Beteiligten belanglose Titel gegeben hatten: ,Out Of The Blue‘, ,It’s Johnny’s Birthday‘, ,Plug Me In‘, ,I Remember Jeep‘ und ,Thanks For The Pepperoni‘. Aber diese Tracks, eingespielt von den in den Credits gleichberechtigt als Co-Composer genannten Musikern, waren faszinierend: Jim Gordon, Carl Radle, Bobby Whitlock, Eric Clapton, Gary Wright, Jim Price, Bobby Keys, Al Aronowitz, Dave Mason, Ginger Baker, Klaus Voormann, Billy Preston und George Harrison kreierten eine Musik, wie ich sie vorher noch nie gehört hatte. Hier spielten Gitarren ohne Gitarristen, sie hatten für mich ein Eigenleben. George Harrison hatte bereits vorher zwei instrumentale Alben veröffentlicht, während der aktiven Zeit der Beatles – ,Wonderwall Music‘ (1968) und ,Electronic Sound‘ (1969) – eigenwillig, aber vergleichsweise blutarm. Auch keine seiner späteren Veröffentlichungen kam mit einer solchen Energie bei mir an, wie diese Künstler-Compilation aus Hits, Songs und Jams.

Mir wird gerade ganz mulmig, denn ich schreibe über Musik, die vor 50 Jahren erschienen ist und die es jetzt, zum Jubiläum, ergänzt und überarbeitet in verschieden Darreichungsformen gibt: Erst einmal sind 2CD- bzw. 3-LP-Versionen, nur mit dem klanglich überarbeiteten Original-Album erhältlich. Über-Fans, die mehr haben wollen, werden in die Tasche greifen müssen, denn das ca. 120 Euro teuere Super Deluxe Edition-Boxset mit 5CDs enthält 47 Demos und Outtakes – davon 42 bislang unveröffentlicht. Insgesamt existieren von diesen Album-Sessions von 1970 mehr als 25 Stunden Material, die gesichtet, teilweise ausgewählt und in diesen opulenten Geburtstagskuchen eingearbeitet wurden. Dazu gibt’s noch ein 60-seitiges Jubiläumsbuch von Georges Ehefrau Olivia Harrison sowie einen Nachdruck des bereits erwähnten Posters. Absolutes Highlight des Pakets dürfte aber die Blu-ray Audio-Disc sein, die die 23 originalen Tracks des Album in High-Res-Qualität bereithält, im 5.1 Surround Sound und im Dolby-Atmos-Mix. Sie lag allerdings leider beim Schreiben der Rezension noch nicht vor; George Harrisons atmosphärischen Songs und Jams könnten so aber noch mal in einer neuen Dimension aufblühen. Das behaupte ich jetzt mal in bester Hoffnung. 

,All Things Must Pass‘ zu entdecken lohnt sich auf jeden Fall – und das funktioniert natürlich auch mit der bisher bekannten Version des Albums, das es u.a. in einer schönen kleinen Pappbox mit zwei CDs und Booklet gibt. Und danach willst du mehr … lt

+++++ INGA RUMPF: UNIVERSE OF DREAMS

Diese Frau ist ein Phänomen, dachten Fans und Kritiker als Inga Rumpf 1965 in der Hamburger Folk-Rock-Band Die City Preachers auftauchte, aus der dann 1970 erst Frumpy und anschließend 1972 Atlantis hervorgingen – immer mit Inga am Mikrofon, die dann seit den 80ern als Solistin unterwegs war. Am 02. August wird die großartige Rock-, Soul-, Gospel, Jazz- und Blues-Sängerin, Gitarristin & Pianistin 75 Jahre alt, und neben einer Autobiografie („Darf ich was vorsingen?“, Verlag Ellert & Richter) schenkt sie uns ein packendes Album zu ihrem Geburtstag. ,Universe Of Dreams‘ wurde von Dieter Krauthausen (Marius Müller-Westernhagen, Can-Studio, Conny Plank-Studio) produziert, der hierfür internationale Top-Musiker wie Larry Campbell (g), Jack Daley (b), Kevin Bents (ac-g, kb), Rob Clores (org), Martin Ditcham (dr), Friso Lücht (kb) & Riedel Diegel (harp) engagierte. Inga selbst hat komponiert, getextet spielte ein paar Slide- und Akustik-Gitarren und Klavier ein. Und sie singt – mit einer Intensität, die unglaublich berührend ist, voller Kraft und mit einem Timbre, das sich Gitarristen immer wünschen, wenn sie dem minimal angerauten Pre-Crunch-Sandpaper-Sound hinterher jagen. Die hier zu hörenden Gitarristen Kevin Bents und vor allem Larry Campbell steuern solche extrem geschmackvolle Sounds bei. Campbell wurde vor allem durch seine Arbeit mit Bob Dylan, Elvis Costello, Emmylou Harris, Phil Lesh, Levon Helm, Sheryl Crow, Paul Simon, B.B. King, Willie Nelson, Little Feat, Hot Tuna, Cyndi Lauper, k.d. lang, Rosanne Cash und Ayọ bekannt. Und diese Künstlerinnen & Künstler bzw. ihre Musik stehen für eine handwerkliche und geschmackliche Bodenständigkeit, die auch die Basis von ,Universe Of Dreams‘ ist: Es geht um runde Songs, geschmackvolle Arrangements, eine klanglich extrem gelungene Produktion – und um eine Künstlerin, die einzigartig ist. ,I Wrote A Letter‘ heißt der zweite Track dieses Albums – und genau so kommt es rüber: persönlich, warm, nah, direkt und persönlich. Als Ergänzung zu den neuen Songs gibt es noch ein paar ,Hidden Tracks‘ – in diesen bislang unveröffentlichten Aufnahmen aus Ingas langer Karriere sind u.a. Pianist Nils Gessinger, der von L.S.E., Paint The Town, Wolf Maahn und BAP bekannte Gitarrist Helmut Krumminga, und gleich drei Rolling-Stones-Musiker – Keith Richards, Ronnie Wood und Mick Taylor – zu hören. Geburtstag ist manchmal auch ein Gitarrenfest. Herzlich Glückwunsch, Inga! lt

++++ HAMBURG SPINNERS: SKORPION IM STIEFEL

“Live und analog aufgenommen in den YeahYeahYeah-Studios in, ihr ahnt es, Hamburg”, steht im Info-Text zu ,Skorpion im Stiefel‘ der, ihr ahnt es, Hamburg Spinners: Das sind Carsten „Erobique“ Meyer (Hammond B3), Produzent Dennis Rux (hier auch sehr cool an der E-Gitarre aktiv), David Nesselhauf (b) und Lucas Kochbeck (dr), die hier eine ganz eigene Art von groovigem, souligen, schmatzigen Orgel-Jazz produzieren, der oft atmosphärisch irgendwo zwischen germanischen 60s-Krimi- und 70s-Erotikfilm-Granaten abgeht. Für gute Laune und viel Tiefgang ist also gesorgt, wenn dieses betörende Quartett aufspielt. Oldschool-funky, rau, heiß. Carsten Meyer liebe ich seit der LP ,Yvon Im Kreis Der Liebe‘, und Bassist David Nesselhauf, schon großartig bei Diazpora und Afrokraut, zupft auch hier einen immens deepen Darm. Groove für Menschen mit Humor, Musik von Könnern, die Spaß haben. Was leider garnicht passt: Ende Mai brannte das Gebäude, in dem sich die YeahYeahYeah-Studios und wertvolles Vintage-Equipment befanden ab, und viele Musikschaffende, die hier arbeiteten haben ein großes Problem. Wer helfen möchte, kauft ihre Musik: Die wunderbare Vinyl-LP ,Skorpion im Stiefel‘ gibt es direkt bei den Künstlern auf hamburgspinners.bandcamp.com. Tolles Album! lt

++++ ANDREAS WILLERS: HAERAE

An musikalischer Offenheit hat es dem im Südwesten von Berlin lebenden Gitarristen Andreas Willers (*1957) nie gemangelt: Er spielte Blues in der Charly Schreckschuss Band, studierte 1979/1980 am G.I.T. in Los Angeles, danach an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei Harry Pepl, später auch bei John Abercrombie. Sein Debüt ,Hier & Als Auch solo‘ erschien 1981 bei Free Music Production, es folgten Kooperationen und Aufnahmen mit unterschiedlichsten Musikern des modernen Jazz. Willers’ 2018 erschienenes Trio-Album ,Derek Plays Eric‘ tangierte dann wieder den Blues-Rock. ,Haerae‘ ist eine Solo-Produktion, die Andreas Willers allein zu Hause, mit seinen diversen Steelstring-Gitarren produziert hat: freie Improvisationen, zwischen Geräusch und Tonalität, oft harte Kost, teils inspirierende Klang-Experimente und hier und da gibt’s auch mal Sequenzen, die im konventionellen Sinn virtuos sind. Andreas Willers ist ein beeindruckender Musiker, der typische Avantgarde-Avantgardist, dessen Musik niemals eine marktkompatible Jazz-Strömung wurde. Hier kann man ihn und seine Kunst kennenlernen: andreaswillers.bandcamp.com. lt 

++++ JOHANNA KLEIN QUARTET: COSMOS

Saxophonistin, Sängerin und Komponistin Johanna Klein lebt in Köln und sie hat eine spannende Band am Start: Leo Engels (g) und Jan Philipp (dr) überraschen hier immer wieder mit eigenwilligen Ideen, getragen von tiefen, sehr plastisch aufgenommenen Kontrabasslinien von Nicolai Amrehn. Wie Johanna Klein hat auch Gitarrist Leo Engels (*1990) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln studiert. Sein Spiel ist abwechslungsreich und dabei immer charakteristisch, ganz gleich, ob er in Intros warme Akkorde und eigenwillige Pickings kombiniert, in von Drummer Jan Philipp angetriebenen, pulsierenden Tracks hinter der Solistin sphärische Räume schafft oder wie im krachenden ,Deimos‘ sehr kantig rockt und wie ein gut erzogener Sohn von James Blood Ulmer rüberkommt. ,Cosmos‘ vom Johanna Klein Quartet ist ein sehr lebendiges Debüt-Album – und es lebt auch vom wirklich großartigen Gesamt-Sound. Gelungen! Mehr Infos unter johannakleinmusic.com. lt

+++ PAUL JARRET: GHOST SONGS

Der in Paris geborene und aufgewachsene Gitarrist Paul Jarret baut seine hier im Zentrum stehenden Improvisationen auf kurzen Melodie-Fragmenten auf, die auch aus Pop-, Folk- oder Kinderliedern stammen können. Um dann einen Track weiter ganz derb, seattleig bis freistilig abzurocken. Mit dem amerikanischen Drummer Jim Black, der stoische Beats, perkussive Frickelflächen und technoiden Wumms gleichermaßen im Repertoire hat, steht ihm ein Seelenverwandter zur Seite. Oft klingt das Resultat dann etwas nach verwüstetem Kinderzimmer oder Jazz-Grunge in SloMo. Gelegentlich hört man auch noch Jozef Dumoulin (kb) und Julien Pontvianne (sax), die wie aus einer ganz anderen Welt wirken. Anstrengende Geister-Songs. lt

+++ BJøRN BERGE: HEAVY GAUGE

Mit seiner rauen Stimme, seinem unglaublichen Drive und dem bodenständigen Groove erinnert mich der Norweger Bjørn Berge hier fast schon ein bisschen an Zakk Wylde, dem man bei allem Hard’n’Heavy-Anteil ja kaum Blues-Feeling absprechen kann. Wo Zakk Metal einfließen lässt, macht Bjørn das mit Country & Folk. Eingespielt wurde ,Heavy Gauge‘ im Trio mit Bassist Kjetil Ulland und Kim Christer Hylland an Drums & Percussion, die einen sehr direkten, raumfüllenden und trotzdem transparenten Sound produzieren, der diesem Album sowohl akustische Wohnzimmer-Kompatibilität wie auch Soundtrack-Flair verleiht. Besonders gut gefällt mir, wie Bjørn Berge auch auf diesem 13 Album immer wieder dezent Jazz-Feeling einfließen lässt. Seine Songs sind eingängig, seine Stimme ist intensiv und berührend, was noch viel mehr für seine sparsamen, knochigen, Acoustic-Slide-Einlagen gilt. Und dann macht er dich mit einer Punk-Riff-Jazz-Metal-Nummer wie ,Rip Off‘ sprachlos, gefolgt von der bluesigen Ballade ,Stray Dog‘, wieder mit tollen Bottleneck-Lines. Ein hervorragender Gitarrist, der von jeder Feeling-Olympiade mit Goldmedaillen nach Hause kommen würde. Wer Virtuosität als maximale Fähigkeit versteht, seine Hörerinnen & Hörer zu berühren, bekommt hier wirklich virtuosen Folk-Jazz-Blues-Groove-Rock – mit viel Abwechslung und ohne Gekniedel. Tolles Album! lt

+++ CERAMIC DOG: HOPE

+++ CERAMIC DOG: HOPE

Eigentlich machen Gitarrist & Sänger Marc Ribot und sein Trio Ceramic Dog da weiter, wo Bjørn Berge mit ,Heavy Gauge‘ aufhört: Sie transzendieren den bodenständigen Groove und schweben erst mal in fast Beat-freien psychedelischen Hall-Räumen mit WahWah-Gitarre davon. Bassist & Keyboarder Shahzad Ismaily und Schlagzeuger Ches Smith sind dabei Ribots Flugbegleiter, als Gäste sind bei einigen Tracks noch Darius Jones (sax), Rubin Khodeli & Gyda Valtysdottir (cello) und Syd Straw (voc) an Bord. Zwei Tracks weiter ist der Groove dann da, aber unerwartet maschinell, robotig, davor ein klassisches Rolling-Stones-Riff, dahinter eine 80s-David-Bowie-Gitarre – genial. Es folgt ein weirder Rap mit coolen Oktaven, der an die HipHop-affine New Yorker Jazz-Szene der frühen 90er erinnert – mit einem umwerfenden Drive. Marc Ribot ist 67 Jahre alt und immer noch ein einziges Überraschungspaket. Rein gitarrentechnisch und überhaupt musikalisch scheint der Herr wie ein Schwamm durchs Leben gegangen sein, so viele Facetten erlebt man beim Hören dieses neuen Albums, das bereits vor einem Jahr, im Mai 2020 in Brooklyn, aufgenommen wurde – als wir alle noch nicht so genau wussten, wie es mit der Welt weitergeht. „Ursprünglich”, sagt Ribot, „wollten wir es ,Better Luck Next Time‘ nennen, aber das fühlte sich … irgendwie unnötig an.” Er hat sein Album dann ,Hope‘ genannt. Ceramic Dog, allen voran Marc Ribot, lieben ganz offensichtlich die Kunst, die Freiheit und das Planetensystem Musik – wie sonst kann man sich ein so inspirierendes, uneinheitliches Album erklären. Ein optimistischer Trip für open minded Jazz-Fans, und für Gitarristen, die mal hören wollen, was sonst noch so alles geht, mit unserem Lieblingsinstrument. lt

+++ DAS JOHANNES KRAMPEN TRIO: SMILE

Uwe Metzler an Gitarre, Bouzouki und Dobro, Henrik Mumm am Kontrabass und Johannes Krampen an der Violine interpretieren bekannte Filmmusik-Themen. Das also mit einer ganz anderen Art von String-Section, als man sie häufig in Movie-Scores hört. Und mit einem Groove, der diese Musik vom Bild emanzipiert und auch von jeder Bühne aus wirken lässt. Keine Frage, dass hier auch Humor im Spiel ist – denn bei einigen Tracks muss man wirklich grinsen, wie z.B. bei Klaus Doldingers ,Tatort‘-Titelmelodie, ,Star Wars‘ oder der hier gut neunminütigen Version von ,Das Boot‘, seit der ich weiß, dass auch meine Gitarre wie ein vom Wasserdruck knarzendes U-Boot klingen kann. Hier bringen drei virtuose, weltoffene Musiker ihre Erfahrungen aus verschiedenen Genres – Pop, Jazz, Rock, Klassik – ins Spiel und schaffen es so, mit ihren Soundtrack-Neuinterpretationen etwas Eigenes zu kreieren. Gitarrist Uwe Metzler überzeugt in dem Zusammenhang nicht nur als straighter, tragender Rhythmiker sondern auch mit schönen Farben und sehr gekonnten kurzen Solo-Spots, immer mit geschmackvollen Sounds. “Symphonic Chamber Pop” nennen die drei Musiker ihr Genre – und sie sind wirklich ein sinfonisch klingendes Trio im klassischen Sinn. Überraschend großartig! lt

+++ LARRY CORYELL & PHILIP CATHERINE: THE LAST CALL

Dass der sensible Ton-Ästhet Philip Catherine (*1942) auch mal energetisch zupacken kann, bewies er schon in den frühen 70ern in der Band Pork Pie. Damals war Larry Coryell (+1943 +2017) als Rock-Jazzer bekannt, als Gitarrist der sich außerdem vor keiner musikkulturellen Begegnung drückte und immer wieder hervorragende elektrische Alben produzierte, um dann gegen Mitte des Jahrzehnts die elektroakustische Ovation-Steelstring zu seinem Hauptinstrument zu machen. 1976 spielten Coryell und Catherine dann zum ersten Mal bei den Berliner Jazztagen zusammen, es folgten einige gemeinsame Alben. Am 27. Januar 2017 kam es dann im Rahmen der Reihe “Jazz at Berlin Philharmonic” zu einem erneuten Zusammentreffen, das auf ,The Last Call‘ dokumentiert ist. Larry Coryell starb wenige Wochen später – hier hören wir wahrscheinlich seine letzten Aufnahmen. Meine Favoriten dieses neuen Albums sind ,Miss Julie‘ und ,Jemin-Eye’n‘, beides Kompositionen von Coryell, in denen die beiden Gitarristen zeigen, wie Sensibilität, Zuhören, Zuspielen, eben Interaktion im Duo, gelingen kann. Das macht dann wirklich Lust, auch noch mal in ihre gemeinsamen Studio-Alben ,Twin House‘ (1977) und ,Splendid‘ (1978) reinzuhören, die zudem klanglich etwas direkter rüberkommen. Bei den letzten drei Tracks ist Standard-Time angesagt, und es stoßen noch Pianist Jan Lundgren  und dann Bassist Lars Danielsson zum Gitarren-Duo. Das letzte Stück ,On Green Dolphin Street‘ bestreiten dann alle gemeinsam mit Gast Nr. 3, dem Trompeter Paolo Fresu – und nein, es ist nicht die von mir befürchtete Festival-Finale-Schunkel-Nummer (FFSNR) geworden, sondern einfach ein, dank Lars Danielsson, immens swingender, cooler Track. Könner eben.  lt

+++ GREGOR HILDEN ORGAN TRIO: VINTAGE WAX

Vom ersten Ton an spannend – musikalisch wie auch gitarristisch – startet dieses zweite Album des Gregor Hilden Organ Trio, mit Drummer Dirk Brand, Organ-Handler & funky Gelegenheitssänger Wolfgang Roggenkamp sowie Namensgeber Gregor H., der hier gleich im sich nahtlos anschließenden, großartigen zweiten Track, absolut scharfe, exotische, schön aufgenommene Saiten-Sounds abliefert. Alle verwendeten Instrumente werden für die Musiker unter den CD-Käufern detailliert im Innenteil des schön designten DigiPaks aufgeführt. Das musikalische  Spektrum der eigenen und Fremd-Kompositionen (Peter Green, Marvin Gaye, Freddie King u.a.) reicht von überwiegend instrumentalen, coolen Blues-Tracks, über groovende Soul-Rocker, und Funk-Grooves bis hin zu Stücken, die irgendwie Flower-Power-Feel und Hippie-Pop-Flair haben.  Absolut unterhaltsamer Mix und klasse gespielt. Und ja bzw. nein: Nicht alle Gitarren klingen gleich! Aber alle klingen hier hervorragend – wie dieses ganze Album. lt

+++ TINI THOMSEN MAX SAX: HORSES & CRANES

Rhythm & Blues, Fuzz-Rock-Gitarren, ächzender James-Brown-on-acid-Funk, schwer groovender Soul-Jazz mit schrägen Sounds: Tini Thomsen’s Max Sax liefert schon eine deftige Mischung ab! Und Bariton-Saxophonistin Thomsen hat mit diesem Album eine sehr eigene Crossover-Nische gefunden. Sie und ihre Band sind hier vor allem eins: unberechenbar. Nigel Hitchcock (as), Joost Kroon (dr), Mark Haanstra (b), der wirklich vielseitige Tom Trapp an elektrischen und akustischen Gitarren, Mandoline und der National Steel Guitar, sowie Posaunist Nils Landgren als Gast in einem Track sind ein eigenwillig-originelles Team. Und perfekte Missionare für alle “Ich höre ja eigentlich keinen Jazz”-Hörer, denen hier eine neue, bunte Welt gezeigt wird. lt

+++ CHARLES LLOYD & THE MARVELS: TONE POEM

Nicht mehr ganz frisch, aber extrem lange haltbar ist dieses neue Album des amerikanischen Jazz-Musikers Charles Lloyd (ts, fl), der auf ,Tone Poem‘ mit Reuben Rogers (b), Eric Harland (dr) sowie Steel-Guitar-Player Greg Leisz und dem wandlungsfähigsten Jazz-Gitarristen aller Gitarristenkarrieren, Bill Frisell, zu hören ist. Interpretiert werden Kompositionen von Lloyd, Ornette Coleman, Leonard Cohen, Thelonious Monk, Gabor Szabo und Bola de Nieve. Und hinter dieser sehr diversen Musikauswahl groovt, nein pulsiert eine Rhythm-Section die extrem unauffällig trägt, kommen sich zwei String-Sections nie in die Quere sondern verzahnen ihr Spiel, und der Hauptsolist & Bandleader erdrückt hier auch niemanden. Smells like team spirit. Gitarrist Gabor Szabos Komposition ,Lady Gabor‘ ist mit knapp elf Minuten der längste Track dieses Albums, und für mich der spannendste: Hier lernt man, wo der Jam-Rock herkam – und dann, komplett entschleunigt wieder hinführen kann. Schöne, chillige, coole Musik – und trotzdem 70 Minuten Spannung. lt

+++ ANDRÉ NENDZA: ON CANVAS I

+++ ANDRÉ NENDZA: ON CANVAS I

Kontrabassist & Bandleader André Nendza (*1968) hat schon einige Platten, Projekte & Preisverleihungen hinter sich, arbeitete u.a. mit Dave Liebman, Kenny Wheeler, Charlie Mariano, Dave Pike, und ist auch als Dozent in der Jazz-Ausbildung aktiv. Seine neuen Kompositionen basieren größtenteils auf konventionellen Standard-Changes, die Groove-Basis ist straight-ahead swingend, und oft fühlt man sich etwas in die kurz vor dem Ausbruch in die freie Welt stehenden, frühen 60er Jahre versetzt – und spürt sofort, wie zeitlos dieses Thema ist: Ausbruch, Aufbruch, das Weiterspielen, die Entwicklung, aber auch die Erhaltung der Basis. Für die freie Welt steht ohne Frage die großartige Saxophonistin Angelika Niescier (*1970), die für mich immer ein bisschen nach Tenor klingt, obwohl sie hier ein Alt-Saxophon spielt. Pianist Martin Sasse, Matthias Bergmann am Flügelhorn und Niklas Walter am Schlagzeug komplettieren diese starke Band um Bassist André Nendza, der in Tracks wie ,Placontemption‘ so etwas wie die kraftvolle, deepe Achse dieser packenden Formation darstellt. Retro? Klar – die Welt lebt vom Gestern, und nur wer dieses Gestern verstanden hat kann heute so spannend davon erzählen. Großartige Aufnahme! Weiterhören? André Nendza ist auch auf dem neuen Album des Pianisten Christian Pabst, ,Balbec‘, zu hören, an Upright- und E-Bass. lt

+++ MATTHEW HALPIN: AGREEMENTS 

Der irische Saxophonist Matthew Halpin ist auf seinem aktuellen Album mit  Drummer Sean Carpio, Organist Kit Downes, Percussionist Sergio Martinez sowie den Sängerinnen Veronika Morscher, Rebekka Salomea Ziegler und Laura Totenhagen zu hören. Und mit dem Gitarristen Hanno Busch (*1975), einem Könner in verschiedenen Genres, der nach seinen zehn Jahren bei der TV-Total-Band Heavytones mit zwei gelungenen Trio-CDs und dem Projekt Sommerplatte mit zwei weiteren Alben, einige Spuren hinterlassen hat. Stilistisch kann man Busch (er hat mit Bosse, Ana Bonfim, Cosmo Klein, Nana Mouskouri, Peter Licht und Gregor Meyle zusammengearbeitet) so wenig festnageln, wie Matthew Halpin. Natürlich ist das Jazz, aber welcher? Guter! Alles andere ist unwichtig. Und an und für sich ist es sowieso immer wieder Blues – dass die Beteiligten auch das draufhaben, beweisen sie in ,Dog Day Afternoon‘. ,Pop Fiction‘ swingt dann noch mal sehr bilderbuchartig, mit einem coolen Gitarrensolo, wie Jazz für den Krimi. Irgendwie denkt man hier sonst aber oft an eine Jam-Session, und ,Agreements‘ klingt auch oft eher nach Absprachen oder Vereinbarungen, als nach einem kompositorischen Konzept. Aber auch das kann ja ein Konzept sein. Bandleader Matthew Halpins eigene Handschrift kommt dann stärker in den letzten drei Tracks rüber – sehr schön, eigenwillig und unberechenbar. lt

+++ GREG LAMY: OBSERVE THE SILENCE.

Geboren 1974 in New Orleans, Studium am Berklee College of Music in Boston und dem Londoner Trinity College – heute lebt er in Luxembourg & Paris: Das sind die Eckdaten des Gitarristen Greg Lamy. 2006 erschien das erste Album des Greg Lamy Quartet, ,What Are You Afraid Of?‘, das aktuelle ,Observe The Silence‘ ist sein siebtes. Mit Jean-Marc Robin (dr) und Gautier Laurent (b) hat Lamy jetzt neues Material veröffentlicht. Der Archtop-Spieler hat diesmal den Hall entdeckt, dachte ich bei einigen Tracks, die wunderbar im Raum schweben und an Aufnahmen Bill Connors oder Mick Goodrick erinnern. Das muss man mögen – falls nicht, versöhnen einen hier ganz schnell die instrumentalen Beiträge, die dir in diesem Kunstraum trotzdem schnell sehr nahe kommen. Toll gemacht! Bei drei Titeln ist der Pianist Bojan Z dabei, und da öffnet sich das Klangbild ein weiteres Mal – Lamys Soli wirken dann entspannt und fast befreit. ,Morphine‘ und ,Mothers‘ sind meine Highlights dieses Albums. Keine Frage, hier hört man gleich zwei tolle Bands. Entdecken: http://www.greglamy.com lt

+++ PHILIPP SCHIEPEK & WALTER LANG: CATHEDRAL

,Golem Dance‘ hieß das Debüt-Album des Gitarristen Philipp Schiepek (*1994), das ich vor knapp zwei Jahren an dieser Stelle gefeiert habe. War er bei der damals auf dem Label enja erschienenen Aufnahme mit seinem Quartett zu hören, hat er diesmal nur einen musikalischen Partner: den Pianisten Walter Lang (*1961). Zwei Generationen, ein Feeling – der Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man die elf entspannten Tracks ihres gemeinsamen Albums hört, die Schiepek mit der Nylonstring-Acoustic eingespielt hat. Minimalistische Melodien, positive Grundstimmung, Harmonien mit rezeptfreiem Entspannungs-Potenzial! Fast folkloristisch klingt das Ganze gelegentlich – Walter Langs jazzige Keith-Jarrett-Verspieltheit bleibt aber immer in Hörweite. Und Philipp Schiepeks gekonnte Arpeggios und vor allem seine perfekte Intonation sind wohl Resultat seiner klassischen Gitarrenausbildung – er klingt eben nicht wie ein Jazz-Gitarrist, der auch mal zur Konzertgitarre greift. lt

ONE, TWO, YOU KNOW WHAT TO DO

Fans des legendären Kult-Rockers Herman Brood, der mit dieser Headline immer seinen Hit ,Dope Sucks‘ einleitete, muss ich enttäuschen: Hier geht es um drei Jazz-Duos, deren Beteiligte aber ebenfalls absolut wissen, wo es lang geht, mit der Musik.

Nach ,Togetherness‘ liegt mit BEAUTIFUL MIND jetzt das zweite Album des norddeutschen GODEMANN BAUDER DUO vor, wobei Gitarrist Massoud Godemann und Kontrabassist Gerd Bauder ansonsten auch noch im Trio mit Drummer Michael Pahlich aktiv sind. Eine sehr gut klingende Aufnahme eines eingespielten Teams, dessen Lebendigkeit mir schon beim Debüt gefiel. Denn beide Musiker gleiten, grooven und solieren unverkrampft durch die acht Album-Tracks, irgendwo zwischen Tradition und zeitgenössischer Moderne interagierend, immer dezent swingend oder eher pulsierend, mit eigenwilligen Arrangements, coolen Voicings und abwechslungsreichen Sound-Settings überzeugend. Auch das geht in dieser klassischen Duo-Besetzung, mit der man sich durchaus aus dem langen Schatten von Jim Hall & Ron Carter herausspielen kann. Reza Massoud Godemann gehört für mich zu den interessantesten und individuellsten Gitarristen der europäischen Szene, die mit Solisten wie Philipp Schiepek, Max Clouth, Paul Brändle, Martin Lejeune, Frank Wingold, Andreas Willers u.v.a. personell großartig ausgestattet ist. Visit http://www.massoudgodemann.de

Zwei Archtop-Spieler mit warmem Ton: MANFRED JUNKER & DANI SOLIMINE spielen seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Besetzungen zusammen. GUITARISTS ONLYliegt ein ganz eigenes Sound-Konzept zugrunde, das vor allem von den tiefen Basslines getragen wird, die der Schweizer Dani Solimine mit dezenten Akkorden verbindet – er spielt eine 7-saitige Gitarre – über die sein Duo-Partner Manfred Junker überwiegend linear soliert. Neben zwei Eigenkompositionen werden hier u.a. Stücke von Django Reinhardt, Jim Hall, Kenny Burrell, Wes Montgomery, Pat Metheny, Helmut Nieberle und Peter Bernstein interpretiert. Die beiden Gitarristen durchstreifen also verschiedene Jazz-Epochen, wobei ihre Version von Chansonnier Sacha Distels ,La Belle Vie’ fast schon ein wenig an das großartige Duo von Attila Zoller & Jimmy Raney erinnert, mit ganz eigener Coolness. Ebenso spannend ist der Django-Reinhardt-Track ,Manoir De Mes Rèves‘ mit seiner unerwartet sensiblen, fast schon impressionistischen Grundstimmung. Das Album endet mit Manfred Junkers Acoustic-Version von Bill Frisells ,Ghost Town‘. Very jazzy, very country! Visit http://www.manfredjunker.com

Ein paar echte Jazz-Klassiker – ,Stompin’ At The Savoy‘, ,Autumn Leaves‘, ,Donna Lee‘, ,Wave‘, ,Centerpiece‘ – und sechs Eigenkompositionen der beiden Gitarristen JOSCHO STEPHAN & PETER AUTSCHBACH bilden das Repertoire dieses überwiegend straight ahead swingenden Albums. Joscho Stephan und Peter Autschbach sind Könner, die ihre Instrumente beherrschen und einzeln bereits eine Menge großartiger Gitarrenmusik eingespielt haben. Gypsy-Guitarist Stephan als Vertreter des Django-Reinhardt-Genres, das er, wie wenige andere nicht nur perfekt beherrscht, sondern immer wieder auch erweitert und wirklich belebt hat. Autschbachs Qualitäten liegen in anderen Bereichen, das wird direkt im vierten Track ,Holobiont‘ deutlich, der zwischen Folk, Jazz und New Acoustic Music einen eigenen Weg geht. Der Titel-Track des Albums SUNDOWNER stammt von Joscho Stephan, der als Gitarrist einfach eine unglaubliche Handschrift hat. Sein Ton, seine Vibrati, sein Timing und seine Phrasierung sind einfach Weltklasse, ganz gleich, ob er Acoustic oder Jazz-Archtop spielt. Das Album kann man für € 10 direkt beim Künstler beziehen: http://www.joscho-stephan.de.

P.S.: Der anfangs erwähnte HERMAN BROOD hat übrigens mit BACK ON THE CORNER (1999) ein großartiges Jazz-Album aufgenommen, das mindestens so gut swingte, wie die Musik der hier vorgestellten Kollegen. Reinhören! lt ■

+++ DR. LONNIE SMITH: BREATH

Der 1942 in New York geborene Organist Dr. Lonnie Smith ist eine Legende, hat mit George Benson gespielt, zwei Alben mit der Musik von Jimi Hendrix aufgenommen (mit John Abercrombie an der Gitarre) und ist jetzt auf ,Breathe‘ u.a. mit Gitarrist Jonathan Kreisberg und bei den beiden Studio-Tracks des Albums mit Iggy Pop am Mikrofon zu hören. Und wenn der ,Why Can’t We Live Together‘ murmelt, zu Lonnies schmatzender Hammond B3 und den virtuosen Licks des Gitarristen, dann ist das einzigartig. Sechs Live-Tracks von 2017 bilden das fette Mittelstück dieser Veröffentlichung; hier sind größere Besetzungen mit Bläsern zu hören – und immer mit Gitarrist Jonathan Kreisberg, den man spätestens nach dem Lesen dieser Zeilen kennenlernen muss. Cooles, chilliges, atmosphärisches Album, dass dir den Club nach Hause holt. lt

+++ MAX CLOUTH, KABUKI, SOPHIE-JUSTINE HERR: LUCIFER DROWNING IN A SEA OF LIGHT

Den 1985 in Frankfurt am Main geborenen Gitarristen und seine Musik haben wir in diesem Magazin schon mehrfach erwähnt. Jetzt ist das fünfte Album von Max Clouth erschienen, das er zusammen mit Kabuki am Modular-Synthesizer und Sophie-Justine Herr am Cello eingespielt hat – und zwar absolut live, ohne Schnitt in den Ludwigsburger Bauer Studios. Geprägt wird die Musik von einem besonderen Instrument, das Max Clouth gemeinsam mit dem Instrumentenbauer Philipp Neumann entwickelt hat: Diese Doubleneck-Gitarre hat oben einen Fretless-Hals, darunter einen bundierten und schräg unter den beiden Saitensträngen durchlaufend noch mal zwölf Resonanzsaiten installiert. Rein klanglich hat Clouth so die Möglichkeiten einer akustischen Gitarre plus den bundlosen, an einer arabischen Oud oder der indischen Sarod orientierten Hals, für die, für uns Europäer exotisch klingende Abteilung. Das Album war von vornherein auch als Vinyl-LP geplant, deren B-Seite Max Clouth als Solist bestreitet. Er improvisiert, unterlegt von einem leisen Drone-Sound, über vier Stimmungen: Sonnenaufgang, Mittag, Sonnenuntergang, Mitternacht. Hier kann man einige ganz eigene Facetten des Saiteninstruments Gitarre-Plus kennenlernen – ebenso viel über ökonomisches Spiel und Ausdruck. Absolut originelle Musik. lt

+++ OKABRE: EMPTY BODY EMPTY HOUSE

Ich kenne keine Band dieses Planeten, die so klingt wie Okabre. Denn die Klangwelten von Andreas Wahl (dr), Florian Graf (g), Thomas A, Pichler (b, synth), Rainer F. Fehlinger (voc, fx), Günther Gessert (theremin, marxophone) und Manfred Rahofer (electronics) sind wirklich speziell. Auf Bandcamp taggen die Österreicher ihre überwiegend instrumentale Musik mit “alternative experimental art rock avant-garde pop progressive Linz”. Ihre Tracks entstehen oft in Zusammenhang mit künstlerischen Filmproduktionen, für die das Kollektiv entweder komponiert oder direkt live improvisierend vertont. Und immer wieder schweben einem zwischendurch ein paar warme Gitarrentöne von Florian Graf entgegen, der dieses Album übrigens auch aufgenommen und gemischt hat: Arpeggios und verhaltene Chords die verhindern, sich im abstrakten Soundscapesoundtrack zu verlieren. Ich liebe Musik, bei der man nicht weiß, was als nächstes kommt – Respekt: Tolles Album, aber nichts für das erste Date mit der neuen Nachbarin. Mehr unter okabre.com. lt

+++ FERENC SNÉTBERGER / KELLER QUARTETT: HALLGATÓ

Der 1957 geborene ungarische Jazz-Gitarrist Ferenc Snétberger präsentiert sich hier mal wieder von seiner anderen, der klassischen Seite: Gemeinsam mit dem Keller Streichquartett interpretiert er auf ,Hallgató‘ Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch, John Dowland und Samuel Barber – eingerahmt von Snétbergers eigenem Gitarrenkonzert ,In Memory of My People‘, das er seinen Roma-Vorfahren gewidmet hat, sowie seinem Solo-Gitarrenstück ,Your Smile‘ und der ,Rhapsody 1‘. Ein sehr intensives, überwiegend ruhiges Album. Berührend. lt

+++ FRANK WINGOLD: TO BE FRANK

Solo, Duo, Trio und mehr, Sounds, Standards, Song-Begleitung, freie Improvisation … der in Köln lebende Gitarrist Frank Wingold gehört zu den vielseitigeren Instrumentalisten der Jazz-Szene. “Solo Guitar”, heißt der Untertitel seines neuen Albums, und Wingold hat sich für dieses Projekt auf zwei siebensaitige Gitarren konzentriert: eine stahlbesaitete Jazz-Archtop und eine klassische Nylonstring-Gitarre, die vom klanglichen Ideal eigentlich gar nicht so weit auseinanderliegen müssen. Dazu kommt, dass Frank Wingold die Saiten seiner Instrumente mit den Fingern und Fingernägeln zupft, anschlägt, bearbeitet, was ihm, gegenüber dem Plektrumspiel einiges an zusätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet und Melodien, Basslines und Akkorde einzeln sowie in Kombination ermöglicht. Dadurch hat sein Gitarrenspiel auf ,To Be Frank‘ einen wirklich kompletten, orchestralen Ansatz. Das gelingt Wingold aber, ohne eine Leichtigkeit und Zugänglichkeit aufzugeben, die seine Musik durchzieht. Das Album besteht jeweils zur Hälfte aus Improvisationen und Kompositionen – und eben habe ich erlebt, dass auch freiere, tonal offenere Musik ganz schön gute Laune machen kann. Wingold kann mit Feeling vermitteln, kann seine Musik nahebringen – dazu passt, dass er auch als Professor für Jazz-Gitarre an der Musikhochschule Osnabrück aktiv ist. Meine Annahme, ich hätte hier und da ein paar Overdubs gehört, war falsch: Frank spielt auf diesem Album live. Der Aufnahme-Sound ist warm und ansprechend, man hat das Gefühl, der Künstler säße vor einem. Wohnzimmerkonzert! Wingold: „Am besten funktioniert das, wenn ich mich einfach nur hinsetze und drauf los spiele. Ohne technische Effekte oder Hilfsmittel – abgesehen von einem Verstärker vielleicht.“

,To Be Frank‘ kommt in einem sehr schön gestalteten DigiPak mit Booklet und beginnt mit acht Standards und einer Eigenkomposition, in denen Frank Wingold ganz unterschiedlich zur Sache geht: mal fast folkig, virtuos fingerpickend, dann im dezent klassisch angehauchten und mit feinen mediterranen Vibrati gewürzten Joe-Pass-Virtuoso-Style, um schließlich bei ,Joshua‘ (von Victor Feldman) und nachfolgenden Tracks absolut groovend eine tragende Basslinie mit pianistischen Akkorden, Melodien, Flageoletts und Improvisation zu kombinieren. Großartige Musik. Überragend finde ich Wingolds Interpretation der Wayne-Shorter-Komposition ,Pinocchio’, die fast nahtlos in die sechs Improvisations-Tracks des Albums überleitet. Entdecken! http://www.wingold.de lt

+++ FRANCO AMBROSETTI BAND: LOST WITHIN YOU

Mal abgesehen davon, dass der Schweizer Trompeter und Bandleader Franco Ambrosetti ein großartiger Musiker mit einer sehr interessanten Biografie ist, landete er insbesondere wegen eines Sideman in diesem Gitarristenmagazin: Mit John Scofield verbindet Ambrosetti eine langjährige Zusammenarbeit, die 1987 mit dem Album ,Movies‘ begann, es folgten ,Movies, Too‘ (1988), ,Cheers‘ (2017) – alle auf dem Münchener Label enja erschienen, bei dem auch Scofield zu Beginn seiner Karriere eine Menge genialer Musik veröffentlicht hat, die erstaunlicherweise viele seiner jüngeren Fans gar nicht kennen. Mit Franco Ambrosetti traf er dann noch mal zu ,Long Waves‘ (2019) zusammen, und jetzt sind beide auf ,Lost Within You‘ zu hören. Neben dem Bandleader (diesmal ausschließlich am Flügelhorn) und Scofield (mit warmem, relativ cleanem, aber dennoch atmendem Gitarrenton) waren noch Uri Caine (p), Renee Rosnes (p), Jack DeJohnette (dr/p) und Scott Colley (b) mit im Studio. Entstanden ist ein Balladen-Album, ruhig, swingend, mit teils weniger bekannten Kompositionen von Horace Silver, Miles Davis, Bill Evans oder McCoy Tyner. Wer die ruhigere, etwas traditioneller jazzige Seite von John Scofield noch nicht kennt – hier gibt es eine Unterrichtsstunde in dezenter, respektvoller Standards-Interpretation mit eigener Handschrift – das übrigens auch von Bassist Scott Colley. Franco Ambrosettis ,Lost Within You‘ ist die Antwort auf die Frage, ob man denn immer noch diese alten Standards spielen muss. Ja, denn wenn man es kann, wie die hier zu hörenden Weltklasse-Interpreten, sind sie lebendige Herausforderungen für zeitlose, spannende, intensive, berührende Musik. lt

+++ HARRI STOJKA: SALUT TO JIMI HENDRIX

Wenn Harald Wakar Stojka (geboren am 22. Juli 1957 in Wien) in die Saiten haut, geht die Post ab. Er ist ein HiEnergy-Rocker der alten Schule, der auch gut auf frühe Alben von Deep Purple oder besser noch zu Black Sabbath gepasst hätte, der aber auch mit thrashigen Surf-Punk-Attacken an Link Wray erinnern kann, um dann im freien Flug gleich mal bei Sonny Sharrock vorbeizushredden. Harri Stojka spielt Gitarre, Bass, ist Bandleader, Sänger und auch ein angesehener Jazz-Musiker. Stojka, der aus einer nach Österreich eingewanderten Roma-Familie stammt, geht erwartungsgemäß auch das Thema Hendrix ganz unverkrampft an – er macht uns hier nicht den Jimi, sondern Harri interpretiert Jimi: ganz einfach straight rockend, rough, mit krachendem Live-Charme und ausgiebigen Soli. Und Harri-Stojka-Soli wie das in ,All Along The Watchtower‘, gespielt auf seiner 1968er Gibson Les Paul Goldtop mit P90-Pickups, zeigen, dass der Herr sein Instrument verdammt gut zu nutzen weiß. Das hat er aber schon auf über zwanzig anderen Alben bewiesen, zuletzt 2016 mit ,A Tribute To The Beatles’. Begleitet wird Stojka bei ,Salut To Jimi Hendrix‘ nur von Drummer Sigi Meier, alle weiteren Instrumente und Vocals hat er selbst eingespielt. Zwischen den Jimi-Hits gibt’s auch ein paar Eigenkompositionen; der letzte Track heißt ,Jimi‘ und ist eine sehr eigenwillige kleine Klang-Collage, die wirklich schräg und spannend rüberkommt. Da wünscht man sich direkt, dass Harri Stojka dieses Album noch mal in genau dem Stil dieses Tracks remixt und eine abgedrehte Free-Jazz-Version nachliefert. Sympathischer Musiker, der macht was er will. Besuche http://www.harristojka.atlt

+++ ALLAN HOLDSWORTH

Gleich zwei neu zu entdeckende Live-Mitschnitte sind jetzt erhältlich, auf denen der geniale E-Gitarren-Exzentriker ALLAN HOLDSWORTH (*1946 +2017) als Band-Mitglied bzw. Co-Leader zu erleben ist. Die älteren Aufnahmen entstanden bereits am 01. November 1980 beim Paris Jazz Festival, und hier war wirklich eine außergewöhnliche Besetzung zu hören: Neben Gitarrist Holdsworth waren das sein früherer Duo-Partner, der Londoner Pianist GORDON BECK, dann der damals 24jährige Violinist DIDIER LOCKWOOD sowie Kontrabassist JEAN-FRANCOIS JENNY-CLARK, beide aus Frankreich, und der italienisch-persische Drummer ALDO ROMANO. Nicht zu Unrecht heißt das Album THE UNIQUE CONCERT, denn die Musik dieser hochkarätigen Besetzung ist etwas sehr Besonderes: wirklich jazziger Jazz-Rock, Musik, die swingen, pulsieren und auch mal krachen kann. Mit Didier Lockwood hatte der hier im besten musikalischen Sinn gitarristisch hyperventilierende Holdsworth einen Solisten an der Seite, dessen E-Violine klanglich oft leicht mit der sahnigen Legato-E-Gitarre verwechselt werden kann. Drei Kompositionen stammen von Gordon Beck (in denen klingt Holdsworth am besten), zwei von Lockwood, und neben einer guten Stunde Musik transportiert die CD auch noch ein Interview mit Drummer Aldo Romano. Dazu gibt’s ein schönes, informatives Foto-Booklet.

Auf den zweiten Live-Mitschnitt, SOFT WORKS: ABRACADABRA IN OSAKA, ist Gitarrist ALLAN  HOLDSWORTH noch präsenter. Zusammen mit Elton  Dean (sax, e-p), Hugh  Hopper (b) und John  Marshall (dr) spielte er am 11. August 2003 in Osaka, Japan. Alle Beteiligten waren irgendwann zwischen 1969 und ‘79 mal Mitglieder der britischen Band Soft Machine, deren progressiver Jazz-Rock wegweisend war. Und irgendwie schwingt der alte Spirit bei den Aufnahmen dieses gemeinsamen Gigs mit. Elf Live-Tracks wurden jetzt auf zwei CDs veröffentlicht, im schön designten DigiPak findet man außerdem ein 20-seitiges Booklet. Das Album gibt’s über http://www.softmachine-moonjune.bandcamp.com – hier bekommt man die Musik auch in diversen (hochauflösenden) Download-Formaten. 

Interessant ist Holdsworths Entwicklung im Vergleich beider Aufnahmen, zwischen denen ja auch ein knappes Vierteljahrhundert und Quantensprünge in der Gitarrenelektronik liegen, die Allan bekanntlich ausgiebig nutzte. Der lineare, boppende Jazzer hatte sich eine parallele Identität als Soundscaper erarbeitet, die beide perfekt harmonieren oder auch mal in ganz verschiedene Richtungen laufen konnten. Obwohl sich Holdsworth daher später im Trio (mit begleitenden Bass und Drums) am wohlsten fühlte, sind seine Interaktionen mit anderen Solisten für mich spannender. Das gilt vor allem für Pianist Gordon Beck, im Fall der zweiten Aufnahme aber für jeden der Beteiligten, insbesondere den fantastischen Drummer John Marshall. Wer mehr von der jazzigen Saite des Allan H. hören möchte, sollte diese beiden Veröffentlichungen mal checken – ebenso die bereits erwähnten Duo-Aufnahmen mit Gordon Beck (,The Things You See‘ von 1980 und ,With A Heart in My Song‘ von 1988). lt



+++ THE BAND: STAGE FRIGHT

The Band waren Garth Hudson (org/sax), Levon Helm (dr/voc), Richard Manuel (kb/dr/voc), Rick Danko (b/voc) und Robbie Robertson (g/p/voc) – alle großartige Musiker, Solisten und ausdrucksstarke Künstler. Bekannt wurden sie auch als Begleiter von Bob Dylan in den Jahren 1965 bis ’67 und dann noch mal 1974, u.a. zu hören auf den Alben ,The Basement Tapes‘, ,Planet Waves‘, und der Live-Kooperation ,Before The Flood‘. Ihr 1970 erschienenes drittes Album ,Stage Fright‘ – nach ,Music From Big Pink‘ (1968) und ,The Band‘ (1969) ein weiterer Meilenstein amerikanischer Rock-Musik – wurde jetzt als Box-Set wiederveröffentlicht, mit 2CDs, einer Blu-ray, der originalen LP (hier limitiert auf farbigem Vinyl), einer weiteren 7“-Vinyl, drei Kunstdrucken und einem großformatigen Fotobuch. Die originale Musik wurde, unter der Regie von Robbie Robertson neu abgemischt und in die ursprünglich geplanten Reihenfolge gebracht, dazu kamen, neben zwei Bonus Tracks, u.a. die „Calgary Hotel Recordings, 1970“ von Robertson, Danko und Manuel, die hier einige ,Stage Fright‘-Tracks zu dritt interpretieren. Echte Highlights sind der auf einer CD und der Blu-ray zu findende Mitschnitt ,Live at the Royal Albert Hall, June 1971‘, denn hier erlebt man die ganze Magie dieser Formation, zwanzig Titel lang, in gutem Sound: Engineer Bob Clearmountain hat Album und Konzert neu abgemischt und auch dezente 5.1-Surround-Mixes (DTS und Dolby) als Hör-Option geschaffen. 

In den US-Charts kletterte ,Stage Fright‘ von The Band vor einem halben Jahrhundert erstmals bis auf Platz 5 – die beiden Vorgänger-Alben waren aber keinesfalls schlechter. Unglaublich, dass wir nach so langer Zeit mit Robbie Robertson weiter einen großartigen The-Band-Überlebenden und seine Musik genießen können. Denn auch dessen Solo-Alben gehören zum Besten aus der US-Alternative-Roots-Rock-Szene. lt

+++ FRANK ZAPPA: ORIGINAL MOTION PICTURE SOUNDTRACK

Wir haben die 3CD-DigiPak-Version dieser neuen Zappa-Compilation vorliegen, die es auch noch als DoLP und 5LP- Deluxe-Box gibt. Es geht um den Soundtrack zu Regisseur Alex Winters neuem Dokumentarfilm “Frank Zappa”, den genialen Gitarristen, Sänger, Bandleader, Komponisten und Schrägmeister der amerikanischen Musikszene. Mit 68 Tracks ist die musikalische Begleitung des Kinofilms opulent ausgefallen und darunter befinden sich auch zwölf bislang unveröffentlichte Songs aus dem Archiv der Zappa-Familie, sowie Live-Mitschnitte in unterschiedlicher Klangqualität, u.a. von 1968 aus dem Club Whisky A Go-Go in L.A., dem Fillmore West in San Francisco 1970, dem Münchener Circus Krone 1978 und einem TV-Auftritt bei Saturday Night Live. Das Studiomaterial beginnt bei ,Freak Out!‘, dem 1966er Debüt von The Mothers of Invention und endet bei ,The Yellow Shark‘, Zappas letztem, noch selbst veröffentlichten Werk 1993 – inklusive einer weiteren Live-Aufnahme eines Konzerts mit dem Ensemble Modern, 1992 in Frankfurt. Hinzu kommen zwei Tracks der Zappa-Label-Artists Alice Cooper und der Band The GTO’s, zwei Klassikwerke von Zappas Idolen Edgar Varèse und Igor Strawinsky und auch ein paar kurze Interview-Auszüge. CD3 liefert größtenteils keine Zappa-Musik, sondern 26, sehr emotional-illustrierend ausgefallene Soundtrack-Tracks von John Frizzell, exklusiv für den Film.

Das ist alles sehr nett gemacht, ein kleines Booklet liegt bei, und für Sammler und Hardcore-Fans sind die drei CDs sicher auch ein Muss. Sie ermöglichen einen wirklich unglaublich bunten Trip durch das Werk eines genialen Künstlers. Eine gelungene Collage, ein Hörspiel über großartige Musik des vergangenen Jahrhunderts ist diese Veröffentlichung ohne Frage. Ich bin jetzt aber noch gespannter auf den Film über Leben, Werk und Visionen des Frank Z., in dem auch Mitmusiker wie Mike Keneally, Ian Underwood, Steve Vai, Scott Thunes, Ruth Underwood und Ray White zu Wort kommen. Weitere Infos: http://www.thezappamovie.com lt

+++ KATJA WERKER: CONTACT MYSELF 2.0

Kaum zu glauben, dass ,Contact Myself‘, das zweite Album der Sängerin und Gitarristin schon über zwei Jahrzehnte alt ist. Die 1970 in Essen geborene Musikerin hat es im Jahr 2000, nach dem Indie-Debüt ,What The Bird Said‘, unter dem Namen Katja Maria Werker veröffentlicht – und mit dieser Musik und ihrer eigenwilligen Atmosphäre damals eine Menge Menschen berührt und beeindruckt. Jetzt hat Katja Werker zehn ihrer 13 großartigen Songs von ,Contact Myself‘ noch mal aufgenommen, ganz nah, ganz sparsam und trotzdem ähnlich intensiv. “Live und sehr minimalistisch, so wie ich sie damals in Hamburg an meinem Küchentisch geschrieben habe”, erzählt die Künstlerin im Begleittext zum Album, das als hervorragend klingende SACD-Aufnahme beim Label Stockfisch veröffentlicht wurde. Der Tonträger kann auch auf jedem CD-Player abgespielt werden, und er steckt in einem kleinen, sehr schön gemachten Hardcover-Buch mit 34 Seiten Song-Texten, Fotos und Informationen. Wenn Labels, Künstlerinnen und Künstler so ein Projekt an den Start bringen, muss man es einfach unterstützen; kaufen kann man das Album übrigens auch direkt über www.katja-werker.com/shop

Die Musik gemacht haben Katja Werker (voc/g), Gert Neumann (g) und Hans-Jörg Mauksch (fretless-b), alle zehn Tracks wurden live im Studio eingespielt, “… kein Metronom, kein Schnitt, alles in Echtzeit mit viel Herzblut direkt in die Aufnahmeregie geschickt”. Aufgenommen und gemischt hat Label-Chef Günter Pauler, dem ein wirklich raumfüllender, organischer, warmer Sound gelungen ist, der perfekt zur Musik passt. Die akustischen Gitarren klingen voll und rund, der Bass dezent und Katja Werkers halbdunkle Stimme schwebt irgendwie vor dir, in der Mitte der Klangraums. Beim Anhören der neuen alten Tracks wurde mir wieder klar, wie stilunabhängig gute Songs sein können, wie Folk-frei akustisches Fingerpicking klingen kann, wie jazzig offen geschmackvolle Arrangements von Instrumental-Parts, Stimme und dann auch der Aufnahmespuren im Mix, Singer/Songwriter-Musik rüberbringen können. In einem perfekten, organischen Miteinander. “Und das ist es, worauf es im Leben und im Songwriting ankommt. Begegnung.” Katja Werker, die bei dieser Aufnahme eine Maton-Steelstring spielte, ist ein weiteres, wirklich großartiges Album gelungen – und neben ,2.0‘ empfehle ich hier auch noch das Original ,Contact Myself‘. Und den 2006 veröffentlichten Nachfolger ,Leave That Thing Behind‘, für mich weiterhin eine der besten Platten, die ich gehört habe. Tolle Künstlerin. lt

+++ ROLAND KALUS: LITTLE AUTUMN BLUE

Roland Kalus ist nicht nur Gitarrist, er produziert seine Musik auch selbst, veranstaltet (hoffentlich bald wieder) Konzerte, unterrichtet und programmiert Websites. Für sein neues Album ,Little Autumn Blue‘ hat er 17 Tracks aus den Jahren 2014 bis 2020 zusammengestellt, bis auf drei Ausnahmen (von Metheny, Mancini und Mandel) alles Eigenkompositionen. An einigen Stücken war auch die Sängerin und Keyboarderin Elke Diepenbeck beteiligt. Kalus’ Acoustic-Songs sind klar strukturiert, mal minimalistisch bis meditativ angelegt, dann wieder sehr lebhaft mit Latin-Touch interpretiert oder mit dezenten Blues-, Klassik- und/oder Jazz-Bezügen ausgestattet. Handwerklich ist hier ein Könner am Start, und was Aufnahme-Sound und Arrangements angeht ein Musiker mit Geschmack. Der zeigt sich u.a. im bluesigen Titel-Track, den Roland via Playback mit sich selbst eingespielt hat. Coole Lead-Licks! 
Auch Fingerstyle-&-more-Gitarrist Kalus hat einen Shop, über den man sein neues Album wie auch den Vorgänger ,Acoustically Yours‘ für € 12 bestellen kann: www.rolandkalus.de lt

+++ JOCHEN VOLPERT: MODERN BLUES GUITAR / SIX

Instrumentale E-Gitarren-Musik von Jochen Volpert und Band! Der Musiker aus der Nähe von Würzburg hat diesmal ganz sein Gitarrenspiel in den Mittelpunkt gestellt, in allen Facetten: Volpert liebt nicht nur Blues, sondern auch Funk, Motown, souligen Jazz, und abrocken kann er auch. Ob dieses sechste Album jetzt wirklich in nur sechs Tagen entstanden ist, kann ich nicht überprüfen – es klingt jedenfalls wie sehr solide Handarbeit mit Live-Flair. Epidemie-bedingt wurde hier allerdings nicht in einem Studio gejamt, sondern mit Abstand und überwiegend über Online-Kontakt kooperiert. Mitgearbeitet haben Achim Gössl am Fender Rhodes Piano und der Orgel sowie Tobi Mürle und Jan Hees an Bass & Drums. Beim Live-Bonus-Track ,WürzBlues‘ sind noch Thomas Gawlas (b) und Peter Wirth (dr) zu hören. Jochen Volpert ist mal wieder ein sehr abwechslungsreiches Gitarren-Album gelungen, das eine Menge Facetten dieses Instruments beleuchtet und wirklich unterhaltsam rüberkommt. Gelungen! Kontakt & CD-Bestellung: jochenvolpert.de lt

+++ THE STICK MAN

Markus Reuter (* 1972) hat sein erstes Album ,Taster‘ 1998 veröffentlich. Und seitdem ist der Gitarrist, Komponist und Musikproduzent aus Lippstadt extrem aktiv und hat eine wirklich riesige Anzahl an Veröffentlichungen vorzuweisen. In den 1990er-Jahren wurde Reuter, neben einem Psychologie-Studium, Schüler des legendären King-Crimson-Hirns Robert Fripp – eine Verbindung die sein weiteres Schaffen geprägt hat. Denn neben seiner Mitwirkung in Formationen wie dem Chaos Orchester Bielefeld, centrozoon, dem Europa String Choir u.a. arbeitete er im neuen Jahrtausend auch mit Pat Mastelotto, in Tony Levins Formation Stick Men und ab 2012 bei The Crimson ProjeKct mit. Markus Reuter, der mit Instrumentalunterricht an Mandoline, Gitarre und Klavier angefangen hatte, konzentrierte sich später auf das Spiel des Chapman Stick, der Warr Guitar und seiner selbst entwickelten Touch Guitars AU8.
Soviel zum Künstler, jetzt zum Werk. Besser gesagt zu gleich vier neueren Veröffentlichungen, an denen Markus Reuter maßgeblich beteiligt war: 

Bei MARKUS REUTER: SUN TRANCE sind neben dem Touch-Gitarristen noch elf weitere Musikerinnen und Musiker zu hören, die zum Ensemble Mannheimer Schlagwerk gehören und die vorliegenden Aufnahmen am 23. Mai 2017 live eingespielt haben. Ruhende Klangflächen, zarte Vibraphon-Melodien und minimale Beats bestimmen diese chillige, psychedelische, entspannende Ambient-Musik – die CD liefert nur einen einzigen, durchgehenden Track von 36:26 Minuten.

An MARKUS REUTER OCULUS: NOTHING IS SACRED waren mit Ex-King-Crimson-Violinist David Cross, Drummer Asaf Sirkis, Co-Produzent Fabio Trentini am Fretless-Bass, Gitarrist Mark Wingfield und Keyboarder Robert Rich ein paar Musiker weniger beteiligt, die umso mehr spielerische Intensität erzeugten. Hier wird ausgiebig soliert, wird Dichte durch Multilinearität erzeugt, stehen verzerrte Gitarren, knurrende Basslines und nervöse Drum-Beats im Vordergrund. Sehr sphärisch und sich über einen Zeitraum von knapp dreizehn Minuten auf- und abbauend bildet Track 3 ,Bubble Bubble Bubble Bath‘ die Achse des Albums, danach wird es wieder etwas dichter, wobei mir der zwölfminütige, finale Track 5 mit seiner Terje-Rypdal-Atmosphäre, die sich gegen Ende abstrakt auflöst, am besten gefällt.

Das Trio-Album REUTER MOTZER GROHOWSKI: SHAPE SHIFTERS wurde von Markus Reuter (touch guitar, electronics), Tim Motzer (g, b, electronics) und Kenny Grohowski (dr) am 18. August 2019 im ShapeShifter Lab, Brooklyn, NY, aufgenommen und basiert auf sphärischen, abstrakten Live-Improvisationen, von denen insgesamt 64 Minuten und vier Tracks auf diesem Album gelandet sind. Eine ganz eigene Klangwelt, keine Frage ­– Markus Reuter ist ein sehr eigenwilliger Soundscaper; vor allem ist er aber ein Musiker, mit dem man einzigartige Trips ins musikalische Neuland erleben kann, wenn man sich auf seine Musik einlässt. ,Shapeshifters‘ ist mein Favorit unter den drei bisher vorgestellten Alben. 

In einem Hardcover-DigiPak mit integriertem 28-seitigem Booklet kommt ein weiteres Produkt von und mit Markus Reuter: STICK MEN: OWARI ist ebenfalls ein Live-Mitschnitt, entstanden im Blue Note Nagoya, Japan, an 28. Februar 2020. Die Formation besteht aus Tony Levin (Chapman stick, voice), Pat Mastelotto (drums, acoustic & electronic percussion), Gary Husband (keyboards) und Markus Reuter (Touch Guitars AU8, Soundscapes). Bei den elf Tracks dieses Albums sind klarere, konventionellere Strukturen erkennbar, und ich musste immer wieder grinsen, wenn hier und da der gute, alte, dreckige, abgehende und nicht domestizierte Jazz-Rock, aka Rock-Jazz die Musik macht – angereichert mit ordentlich Progressive-Atmosphäre und abgedrehten, avantgardistischen Zutaten, die diesen Kollektiv-Trip ganz anders ausfallen lassen, als die o.g. Alben: konventioneller aber wirklich nicht weniger spannend, mit klaren Retro-Bezügen in die Art-rockenden 70er-Jahre, aber alles andere als verstaubt – ein altersloses Monster! ,Owari‘ von Stick Men ist ein überraschend großartiges Album und für mich jetzt schon ein energiegeladener Meilenstein der wirklich progressiven Alternative Progressive Music. 
Weitere Infos, Downloads & Tonträger gibt es direkt beim Künstler – und da sollte man nach Möglichkeit als Fan Musik kaufen. Markus Reuter und seine Musik erreicht man via markus-reuter-moonjune.bandcamp.com oder über www.markusreuter.comlt



+++ THE JAZZ MAN

Jazz-Gitarrist Jan Bierther, geboren 1970 in Essen, studierte von 1992-1996 an der Amsterdamer Hochschule der Künste, Abteilung Hilversum, bei Wim Overgaauw, und er hat seitdem einige Alben veröffentlicht. Mit JAN BIERTHER TRIO & DIAN PRATIWI: MY FUNNY VALENTINE kommt jetzt noch ein sehr kerniger Live-Mitschnitt zur Discografie, der Bierthers weitere Vorlieben Pop, Blues, Funk und Soul in den Vordergrund stellt. Im Zentrum steht allerdings die raue, laute und sehr kraftvolle Soul-Stimme der in Jakarta geborenen Dian Pratiwi (sie ist Dozentin für Jazz-Gesang an der Glen Buschmann Jazz-Akademie), die mit dem Jan Bierther Trio (mit Eric Richards am Bass und Sebastian Bauer am Schlagzeug) und einem Repertoire aus Jazz-, Soul- und Blues-Standards gewaltig Gas gibt. Wirkt dieser Live-Mitschnitt anfangs klanglich noch etwas rustikal – eben genau so, wie wenn man in einem kleinen Club direkt vor der Bühne sitzt – ist man spätestens mit dem dritten Track ,Ain’t No Sunshine‘ nur noch vertieft in die Musik. Ein Live-Album muss so klingen! Bandleader Jan Bierther gehört ganz sicher zu den vielseitigsten Gitarristen seines Bereichs, hat immer gute Sounds im Angebot, kann mit diversen Effekten überraschen und vor allem spannende Soli abliefern, die seine Mitmusiker und das Publikum mitreißen. Genre-Grenzen und Stil-Vorgaben scheinen dem Telecaster-Jazzer Bierther meist ziemlich egal zu sein, und genau das macht seine Musik auch in den hier bestehenden Repertoire-Grenzen so spannend wie es nur geht. Seine Voicings haben wirklich eine sehr eigene Handschrift. Reinhören! 

Im Fall von DUO CONSONO: THE SMELL OF CHILDHOOD ist Jan Bierther mit einer akustischen Archtop zu hören, und mit seinem Kollegen Bernd Nestler an der Nylonstring. Als erstes fällt auf, dass beide Gitarren gar nicht so unterschiedlich klingen, was auch etwas an der insgesamt sehr warm klingenden Gesamtaufnahme liegt. Die 13 Eigenkompositionen der beiden Gitarristen (darunter sind keine Gemeinschaftswerke) decken die Bereiche Jazz, Latin und instrumentalen Folk ab, klingen mal klassisch inspiriert, können aber auch schon mal etwas knackiger zur Sache gehen. Jan Bierther und Bernd Nestler spielen bereits seit über 30 Jahren zusammen, ,The Smell Of Childhood‘ ist nach dem 2005 erschienenen ,12 Tales‘ das zweite gemeinsame Album. 
Weitere Informationen und die vorgestellten Alben gibt’s bei www.janbierther.delt