TOM SCHWOLL & FLEUR DE MALHEUR: GITARREN UND GESCHICHTEN …


Als Gitarrist, Songwriter, Musiker und Produzent hat der 1966 in Berlin geborene Tom Schwoll im Punk- & Hardcore-Bereich Musikgeschichte mitgeschrieben. Jetzt ist er mit seinem Soloprojekt Fleur De Malheur zurück: Und dem Album ,Kummerkumpels’.


„Hi Tom, ich lande gerade zufällig auf deiner Facebook-Seite und erinnere mich: ,Interview Tom Schwoll, Jingo De Lunch,13.01.1992, Köln Japan-Restaurant“’ steht in meinem Interview-Kalender. Henning und Joseph waren noch dabei … Ich habe damals für das Gitarre & Bass Magazin gearbeitet – und war exakt halb so alt wie heute. Paar Jahre her … Hoffe es geht dir gut!“

„Uff, wie geil …. hast du das Inti noch? Kann mich kaum erinnern … Habe gerade eine Soloplatte fertig, falls dich das interessiert. Das Projekt heißt ,Fleur De Malheur’ – urbane Folklore würde ich das nennen. Deutsche Texte, alles recht düster und sparsam. Hör doch mal rein, und falls du ‘ne Idee hast, freu ich mich.“

So kann man sich auch wieder begegnen – und auf gute Musik aufmerksam werden. Aber alles der Reihe nach.


Aufgewachsen ist Tom Schwoll in Aachen, wo er mit dreizehn Jahren in der Schüler-Band Prostatakids spielte. Ab 1980 ging es zurück nach Berlin, wo er seine Schulkarriere beendete und als Gitarrist in diversen Punk-Bands aktiv wurde: Zerstörte Jugend, Manson Youth, Vorkriegsjugend, Inferno. 1987 war er mit Sängerin Yvonne Ducksworth, Josef Ehrensberger (g), Henning Menke (b) und Steve Hahn (dr) Gründungsmitglied der Hardcore/Crossover-Band Jingo de Lunch, die noch im selben Jahr ihr Debüt-Album ,Perpetuum Mobile’ einspielte und in den folgende Jahren eine Institution der europäischen Hardcore-Szene wurde. Tom verließ die Band 1994 und wechselte zu Extrabreit, von 1997 bis 2022 war er dann Gitarrist der Berliner Band Die Skeptiker.
Im Sommer 2006 ging Toms alte Band Jingo de Lunch dann noch mal in alter Besetzung auf Tour durch Deutschland, Österreich und Italien. Eine Compilation und ein Album erschienen, 2009 war Tom dann wieder raus aus der Band.
In der Zeit gründete er mit anderen Berlin-Kreuzberger Musikern das Projekt „Kumpelbasis“, arbeitete als Produzent & Tontechniker bei verschiedenen Produktionen mit und betrieb ab 2009 das Tonstudio Schaltraum. Eine Punk-Band hat Tom immer noch: Es war Mord. 

„Im Kern bin ich sehr gern ein Sideman“, erzählt Tom. „Ich spiele supergern Gitarre und mag es, gute Sänger mit meinem Spiel zu unterstützen, anstatt selber ihm Mittelpunkt zu stehen. Deshalb hat es wohl ein halbes Jahrhundert gebraucht, bis ich den Impuls als Musiker verspürte, mal ein Solo-Album zu machen.“



Letzteres ist ihm absolut gelungen. Musik zu erleben ist ja immer auch eine sehr subjektive Geschichte, ganz egal ob man das als Fan, Produzent oder Journalist betreibt. Als ich die Songs von ,Kummerkumpels’ hörte, dachte ich zuerst: „Klingt gut, ist aber nicht so meine Musik.“ Aber dann haben mich die Songs immer weiter reingezogen, und bei Tracks wie ,Der Motor‘ und ,Plastiktüte‘ war ich absolut begeistert. Es gibt Songs, die sind echte Plattenöffner – und danach war ich drin. Das Debüt von Fleur De Malheur aka Tom Schwoll ist wirklich ein großartiges, originelles Album. Seine Stimme ist besonders, die Arrangements und der Aufnahme-Sound sind rund, und die Gitarren-Parts klasse, spannend und manchmal überraschend: Im Solo von ,Motardstrasse‘ sehe ich schon Jazzer beim verzweifelten Skalenraten vor mir.

Tom Schwolls Musik ist manchmal düster, aber oft auch warm und irgendwie nah, die Songs schaffen manchmal dieses schöne Zuhause-Gefühl. Und bei ,Das Drama‘ hat man direkt Bilder im Kopf. Schwarzweiß-Video. ,Das Drama‘, ,Der Motor‘ und ,Plastiktüte‘ sind meine drei Favoriten nach dem zweiten Hören. Und ,Kummerkumpels‘ … Ich bin Fan. So funktioniert gute Musik.

Als ich dann ein paar Wochen später die Vinyl-LP in der Hand halte, setzt sich der Hör-Eindruck fort. Tolles Cover, originell designt, und neben der LP noch mit einem großformatigen, 16-seitigen Booklet mit Songtexten, Credits und Fotos bestückt. Gelungen!

Tom erzählt: „Die Gitarren habe ich gespielt außer der Lapsteel bei ,Astronautin’, das war Jacke Schwarz; und die Pedalsteel bei Prieros, das war Moe Jaksch, der auch die Zither bei ,Oury Jalloh’ gespielt hat …“ Viele Sounds, viele Farben, viele Musikerinnen & Musiker: Schlagzeuger und Produzent einiger Tracks war Thomas Götz (Beatsteaks), Bassist und ebenfalls Co-Produzent war Christopher Zabel (Adicts). Im Laufe des Albums tauchen dann noch die Stimmen von Jazz-Sängerin Julia Pellegrini (Les Brünnetes), von Toms Tochter Luna Behrends auf, Swans-Gitarrist Christoph Hahn hat ein paar Slide-Gitarren beigesteuert, Bugs Malone die Percussion und Silvia Gebhardt spielte Geige.
Aufgenommen wurde vom legendären René Tinner. „René habe ich vor 30 Jahren kennengelernt, als ich mit Jingo De Lunch für drei Monate im Can-Studio in Weilerswist bei Köln war; das hat er damals geleitet und er hat auch lange mit Conny Plank gearbeitet. Abgesehen von Can hat René auch mit Lou Reed, Joachim Witt, Westernhagen, Remmler, Krawinkel und vielen anderen gearbeitet. Ich finde, er hat einen tollen Sound gemischt.“

Tom, dein Album ist in der LP-Version ein absolutes Gesamtkunstwerk, mit tollem Design, schöner Verpackung, stimmungsvollen Fotos … Wie wichtig sind dir diese Aspekte neben der Musik?

Na ja, finde  es widersprüchlich auf Inhalte zu pochen und mit einer lieblosen Verpackung daher zu kommen. Bild und Ton sollen ineinander übergreifen und bitte Stimmung machen, im Optimalfall beim Hören der Schallplatte und nicht als Marketing-Konzept. Voraussetzung dafür ist dann ein Label, das solche Ideen nicht nur aushält, sondern auch eine klare Haltung hat. Anders gesagt, dass Attitüde kein Billokaffee im Plastebecher zum mitnehmen aus der Konvektomatenbäckerei ist. Den habe ich übrigens auch jahrelang getrunken, habe da mittlerweile eine andere Einstellung. Ich arbeite schon ein paar Jahre mit Gregor Samsa von Sounds of Subterrania zusammen. Abgesehen von seinem breitgefächerten Katalog, von Melt Banana über Motörhead bis zu dem Pianisten Lubomyr Melnyk und vielen anderen, legt Gregor großen Wert auf Cover-Artwork. Und damit hat er recht. Ich habe bei dieser Platte von Anfang an gewusst, dass es das Cover-Foto von Dieter Kaspari sein soll, und ich finde das hört man auch.

Wie lange hast du an ,Kummerkumpels’ gearbeitet, von den ersten Song-Ideen bis zum fertigen Album?


Das waren drei Jahre, dazwischen habe ich aber auch noch eine 7inch und eine LP mit meiner Punk-Band „Es war Mord“ veröffentlicht. Die Idee für das Album kam auf, als ich spaßeshalber mit meinem Freund Moe Jaksch zwei Lieder aufgenommen habe, Covers eben. Die Ansage von Sounds of Subterrania war dann: Super, aber bitte eine ganze LP mit eigenen Songs! Ich dachte, na prima, das kriege ich in drei Monaten hin – es hat aber drei Jahre gedauert. Ursprünglich wollte ich mit Moe Jaksch als Produzenten arbeiten, das hat leider zeitlich nicht hingehauen. Christopher Zabel, der Bassist und Thomas Götz haben das dann übernommen. ich habe in Weimar, in Dänemark, in Werder/Havel und in Berlin an den Stücken gearbeitet. Wichtig war auch René Tinner, der gemischt hat, denn René hat am Ende alle Entscheidungen getroffen, für das, was letztendlich auf der Platte zu hören ist.

Hat sich während dieser Zeit noch viel verändert, oder war das Konzept von Anfang an klar?

Das Konzept war klar: Es sollte minimalistisch sein. Oder um Stefan Kleinkrieg zu zitieren, „spröde aber der Musik zugewandt“ klingen. Die Idee war, Trauer zu transportieren, um vielleicht so traurigen Menschen, das Gefühl zu vermitteln, „hey du bist nicht allein!“. Ein anderer Ansatz war, möglichst unangestrengt zu klingen. Moe Jaksch meinte, „du musst singen und spielen, wie der Typ, der in der Ecke sitzt, dem es egal ist, ob jemand zuhört oder nicht“. Das Bild fand ich gut, habe dann aber auch gemerkt: Ein reines Folk/Country-Album sollte es auch nicht werden, deshalb habe ich dann den Bassisten Thomas Götz gefragt, ob er mitmachen will, und ihm skurrile Demos geschickt und dazu Sachen geschrieben, wie z. B., „Mach mal was wie Dr. John meets Portishead, oder Brahms mit Oi-Faktor“. Ich wusste, Thomas liebt sowas, und ich mag seine schrägen Ideen

Hattest du Vorbilder, was die Gesangsaufnahme und den leicht roughen Akustikgitarren-Sound angeht, der übrigens perfekt zu deiner Stimme passt?

Da gibt es viele, am liebsten würde ich klingen wie Frank Sinatra, Roy Orbison oder Ricky Nelson bei ,Lonesome Town’. Ich muss aber mit dem klar kommen, was da ist: mit meiner Stimme, mit der ich mich auch halbwegs angefreundet habe. (lacht) Es war dann auch eine ständige Suche bei den Aufnahmen. Ich bin ja kein geübter Sänger. Also für den Garten oder den Refrain von einer Punk-Nummer hat’s immer gereicht, aber ein ganze LP war dann schon eine challenge. Julia Pellegrini hat mir dann ein paar Tipps gegeben, danach wurde es besser. Julia ist eine fantastische Sängerin  und sie ist ja auch bei ,Kummerkumpels’ und ,Das Drama’ zu hören.

,Der laufende Motor’ klingt für mich wie David Bowie meets Johnny Cash: ein Country-Song mit Geige, die klingt wie die E-Gitarren bei ,Heroes’. Hattest du irgendwelche Klangbilder oder Arrangements im Kopf, bevor du den Song so aufgenommen hast?

Schön, dass du dieses Lied erwähnst. Und nein, ich hatte zuerst den Text und habe mir dann die Akkorde  zusammengesucht. Es war dann schnell klar, das soll kein 4/4-Takt sein. Die Geige hat meine Hausärztin Silvia Gebhardt gespielt. Es ist aber auch eine Lapsteel-Gitarre mit Ebow zu hören – Christoph Hahn von den Swans hat die gespielt. Wir kennen uns seit Ewigkeiten und haben schon oft zusammen gearbeitet. Die Geige und die Slide-Gitarre wurden an verschiedenen Tagen und Orten eingespielt, also ohne das die beiden sich gehört haben. Christopher Zabel und René Tinner haben das dann so zusammengebaut.

Was ist das für eine coole Wandergitarre mit Pickup und Radioreglerknöpfen, die du auf dem Promofoto spielst?

Diese Gitarre hat meine Mutter zu ihrem 12. Geburtstag  bekommen: eine preiswerte Kaufhof-Akustikgitarre aus den 50er-Jahren. Mein Kumpel Gary Neath von Cogg Guitars hat sie überholt, neue Bünde eingesetzt, Tonabnehmer, Regler und Schlagbrett sind auch von ihm. Tolles design, finde ich auch! Zu hören ist sie auf dem Album bei ,Motardstraße’. 

Welche Gitarren hattest du sonst noch im Einsatz?

Ich hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme keine eigene brauchbare Akustikgitarre, und Christopher hatte sich eine ausgeliehen von einem Kollegen, ich glaube das war eine Richwood. Bei Thomas stand auch eine rum, die wir benutzt haben, den Namen weiß ich nicht mehr. Ich habe mir aber jetzt eine Höfner-Gitarre mit Stahlsaiten besorgt: eine HA-CS28, ein Concert-Modell mit Tonabnehmer. Außerdem noch eine E-Gitarre von der Berliner Firma „k’mo guitar“ (www.kmoguitars.de), die baut ein Freund von mir, der Khaled Hassan heißt. Sein Vater stammt aus dem Sudan, und er war es leid, dass niemand seinen Namen richtig aussprechen kann. deshalb k’mo. Mo ist ein toller Gitarrist und so sind auch seine Gitarren.  

Hast du auch Amps und Effektgeräte eigesetzt?

Nur einen Fender Blues Junior und irgendein Tremolo-Pedal.   

Seit ich mit 15 zum ersten Mal The Velvet Underground gehört habe, weiß ich, dass zwischen den Stühlen viel Platz für spannende Musik ist. Zwischen Country, Rock, Düster-Folk und Punk ist auch immer noch ein bisschen Punk, oder?

Unbedingt! Velvet Underground sind ein perfektes Beispiel dafür, dass es nicht nur um Technik oder Handwerk geht, sondern dass der Ausdruck entscheidend ist. Schade dann, dass viele populäre Künstler, die sich in diesem Kontext präsentieren wollen, eher wie „velvet“ ohne „underground“ klingen. Also diese ganzen identitätsstiftenden Begriffe, wie Metal, Punk, Country, Folk, Rock’n’Roll whatever, sind ja OK, und es ist ja auch OK, wenn sich junge Menschen als „Zentrum der Welt“ begreifen. Aber „Malen nach Zahlen“, nur um einer bestimmten Zielgruppe zugerechnet zu werden, das finde ich öde.

Letzte Frage: In welcher Besetzung spielst du die ,Kummerkumpels’-Songs live? Und ist da für den Herbst/Winter noch was geplant?

Ich werde erst mal allein spielen, also ich und meine Gitarre. Das ist mir wichtig und es ist auch sehr praktisch. Im Moment stehen ein Haufen Konzerte an, das Feedback und die Nachfrage in dieser Sache sind erstaunlich gut, und jeder der eine Location hat, Club, Plattenladen oder sonst was, kann mich buchen.   

Danke, Tom – und weiter viel Erfolg mit diesem tollen Album! ■

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