







Ein runder Musiker-Geburtstag zieht oft die Frage hinter sich her, wo denn die Zeit geblieben ist. “Wie alt wird er? Siebzig…?! Kann doch nicht sein!” Ich gehöre ja eher zu den späten Fans des Ulmer Bassisten und Bandleaders Hellmut Hattler. Klar, an Kraan kam in den 70ern niemand vorbei. Ich erst recht nicht, weil mein Bass spielender Bruder zeitweise ,Kraan Arabia‘ in Dauerschleife hörte und unser Freund Wolfgang Richard, ebenfalls Bassist, nicht zuletzt durch Hellmuts Musik entdeckt hatte, was man mit einem Plektrum und/oder Daumen so alles auf dem Bass anstellen kann. Irgendwann spielte Richie dann sogar mal bei Hellmut im Vorprogramm. Hattler war immer da.
Ich selbst traf Hellmut erst später, als er mit Joo Kraus auf Promo-Tour für ein neues Tab-Two-Album war. Wieder ein neuer Sound. Aber dann kam irgendwann HATTLER mit den ,Surround Cuts’, einer DVD mit toller Musik im 5.1-Surround-Sound und sehr coolen Videos, u.a. von Max Hattler. Absolut großartige Musik durchflutete mein bescheidenes 780-Quadratmeter-Appartement. Das war 2005, und ich war Fan!
Jetzt ist auch er 70 Jahre alt geworden – unglaublich! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag & alles Gute, Hellmut Hattler! 🌻
Das Beste hat Hellmut Hattler ja immer mit uns geteilt, so zuletzt sein tolles Album ,Sundae’, das im November 2021 erschienen ist. Wer es noch nicht kennt, hier ein kleiner Text zu HATTLER und zu ,Sundae‘:
+++ “Hellmut Hattler (* 12. April 1952 in Ulm) ist ein deutscher Jazz- und Rockbassist.”, schreibt Wikipedia. Stimmt. Und eine musikalische Institution: Seit 50 Jahren versorgt der international bekannte Musiker, Produzent & Bandleader Fans und Bewunderer seiner Band Kraan und der Duos Tab Two und Siyou’n’Hell in hoher Schlagzahl mit neuem Material. Nebenbei spielte er noch als Gast mit Guru Guru, Fehlfarben und Deep-Dive-Corp., kooperierte immer wieder mit seinen Gitarristen-Kollegen Ali Neander und Torsten de Winkel, und veröffentlichte auch als Solist, in den vergangenen Dekaden eine Menge wunderbarer Musik, die er immer auch live gespielt hat. Musik zwischen den Stilen: Songs und Instrumentals, die das ganze breite Spektrum von Pop, Funk, Soul, Rock, Ambient, Jazz & mehr abdecken und in den letzten beiden Jahrzehnten Hellmut Hattlers virtuose Handarbeit auch verstärkt mit elektronischer Musik verknüpft haben.
“Hattler” nannte Hattler im Jahr 2000 sein neues Projekt, mit dem er etwas andere Wege ging. Schon das Debüt ,No Eats Yes‘ wurde 2001 mit dem deutschen Schallplattenpreis Echo für die beste “Jazz-Produktion des Jahres” ausgezeichnet. Siebzehn Alben später, darunter die umwerfenden ,Surround Cuts‘ (2005), eine Mehrkanal-DVD mit experimentellen Videos und genial produziertem Raumklang, und zuletzt die drei herausragenden Veröffentlichungen der ,Vinyl Cuts‘-Reihe, ist Hattler 2021 mit ,Sundae‘ am Start. Sundae? Gerade habe ich gelernt, dass dieses Wort, neben dem opulenten Eisbecher mit rotem Sirup und dunklen Schokoraspeln, auch noch eine koreanische Wurstspezialität bezeichnet, die es wiederum einmal als Blutwurst, aber auch als vegetarische Variante, bestehend aus Getreide und Gemüse, gibt.
Und damit sind wir wieder beim ganz breiten Spektrum: Dass Musik und Kunst ein buntes Universum sein können, ein freier Spielraum, in dem man sich undogmatisch, unverkrampft und weltoffen ausleben kann, hat Hattler immer wieder neu reflektiert und interpretiert. Mit Musik, die eine wunderbare Leichtigkeit ausstrahlen kann, aber auch in manchen der zwölf neuen Tracks, wie dem Opener ,The Times We Never Had‘, ,Call‘ oder ,Random Conversation‘, groovend geheimnisvolle Tiefe und diese sehnsüchtigen Raumklänge zelebriert, in denen man sich warm verloren fühlen kann. Um eine Nummer weiter, in ,Rotten Rolls‘, mit einem gewagten Bass-Solo auf Hellmuts legendärem, lange verschollenen Rickenbacker-Viersaiter, eine leicht bizarre, highspeedige Retro-Dancefloor-Nummer abzuliefern – wie geschaffen für einen Tarantino-Soundtrack – oder in ,Die blaue Frau‘ zur E-Sitar von Torsten DeWinkel straight abzugrooven. Auch im konventioneller jazz-rockenden ,Anaheim Jive‘ behalten die Musiker von Hattler – hier mit Trompeter Joo Kraus, Gitarrist Torsten de Winkel und Martin Kasper am Piano – ihr hohes Tempo bei. Und klingen fast ein bisschen nach dem großartigen Euro-Jazz-Rock der späten 1970er-Jahre, gepimpt mit einem HiEnergy-Groove von Drummer Oli Rubow. Ebenfalls sehr cool und retro klingt das soundtrackige Instrumental ,Acid Blues No. 1‘, mit einem swingenden Gitarrensolo vor fetten Hammond-Harmonien.
Immer wieder einzigartig ist die Stimme von Fola Dada, eine Musikerin, die dem, der und den Hörenden extrem unaufdringlich extrem nahe kommen kann, ganz egal, ob sie mehr oder weniger konventionelle Songs wie ,Faking News‘ oder ,Pride‘ interpretiert, oder nur ein paar vokale Hooks beisteuert. Und dann, gegen Ende des Albums das instrumentale ,Lieblingslied‘ mit Tab-Two-Partner Joo Kraus am Fluegelhorn: Eine atmende, von Hellmut Hattlers E-Bass vor einem Streichquartett gespielte, sehr starke kleine Melodie … – wenn Musik so berührt, höre ich auf zu schreiben. Anhören!
Hattlers ,Sundae‘ ist ein immer wieder überraschender kleiner Trip durch die Musikwelt, durch eine lange Band-Karriere, aber stets mit diesem warmem Vibe, der dich irgendwie ein Zuhause fühlen lässt. ,No Bass No Fame‘ heißt das sehr positive, relaxte Finale, mit dem uns Sängerin Fola Dada zurück ins wahre Leben holt – eine Reprise des ersten Tracks. Klar: Es geht weiter! Immer weiter. lt
